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Daniela Schröder
Sein schärfstes Schwert ist die Moral
Als Ombudsmann ist der Grieche Nikiforos
Diamandouros die instituionalisierte Klagemauer der
europäischen Bürger
Europas Kummerkastentante ist ein 63-jähriger
Politikprofessor aus Griechenland, der in seiner Freizeit
historische Romane liest und derzeit aneinem neuen Buch über
Demokratisierung arbeitet. Seit April 2003 leert P. Nikiforos
Diamandouros die "Beschwerdebox" der 25 EU-Staaten. Als Ombudsmann
der Europäischen Union hat er ein offenes Ohr und wird aktiv,
wenn sich Europas Bürger über schlechte Verwaltungsarbeit
der Brüsseler Institutionen beklagen: Anfragen, die nicht
beantwortet werden. Dokumente, die die Behörde nicht
herausgegeben will oder Rechnungen, die Monate später immer
noch nicht beglichen sind. Die Liste der Ärgernisse ist lang.
Ein deutscher Kleinunternehmer etwa wartete fast ein Jahr lang
vergeblich darauf, dass die EU-Kommission eine Rechnung für
geliefertes Computerzubehör bezahlte. Auch nach der siebten
Mahnung war von den ausstehenden 17.437 Euro keine Spur. Der
verzweifelte Mann wandte sich kurzerhand an Diamandouros und wenig
später überwies die Brüsseler Behörde das Geld.
Gerade kleine und mittlere Unternehmen leiden unter säumigen
Zahlern, so der Grieche. Sein Vorschlag an die Kommission: Sie
solle darüber nachdenken, künftig Verzugszinsen zu
zahlen.
Nicht alles kann Diamandouros beeinflussen, aber vieles: Bohrt
er nach, geraten die EU-Institutionen schneller in Bewegung als bei
anderen Nachfragen: "Sie wollen ihre Bereitschaft zeigen, mit mir
zum Wohl der Bürger zusammenzuarbeiten", sagt Diamandorous.
Allein Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs fallen
nicht unter seine Zuständigkeit. Auch schlechte Arbeit der
lokalen, regionalen oder nationalen Verwaltungen liegt
außerhalb seines Mandats. Doch welche Regierungsebene bei
einer Verletzung des EU-Rechts zur Rechenschaft gezogen werden
kann, darüber sind sich auch gut informierte EU-Bürger
vielfach nicht im Klaren. Sicherheitshalber landet alles, was
irgendwo nach Europa aussieht, daher erstmal auf Diamandouros
Schreibtisch. "Für etwa 70 Prozent der einlaufenden
Beschwerden bin ich nicht zuständig", sagt er. Solche
Fälle werfe er jedoch nicht in den Papierkorb, sondern leite
sie an seine Kollegen in den Ländern weiter. Und während
die meisten Brüsseler Institutionen noch die Wunden der beiden
Neins zur EU-Verfassung lecken, arbeitet Diamandouros daran, eine
gemeinsame europäische Ombudsmann-Telefonnummer auf den Weg zu
bringen. Diese Nummer für EU-Kummer soll von allen 25
EU-Staaten aus wählbar sein und Beratung in allen Amtssprachen
der Union bieten. Bis auf Italien und Deutschland beschäftigt
jeder EU-Staat einen nationalen Beschwerdemanager, sagt
Diamandouros. Noch in diesem Jahr will er daher durch Deutschland
touren, um für seine Aufgaben bei der EU als Ombudsmann in
anderen EU-Ländern zu werben.
Ob Bürger, Unternehmen oder Verband - wer offiziell in der
EU registriert ist, kann seinen Ärger über Fehler der
EU-Bürokratie bei Diamandouros ablassen. Auf der Internetseite
des Ombudsmanns, per E-Mail, Fax oder Brief und in jeder der 20
offiziellen Sprachen der Gemeinschaft. "Zuvor muss es jedoch einen
Kontakt zu der betroffenen EU-Behörde gegeben haben",
schränkt Diamandouros ein. Rund 70 Prozent der Beschwerden im
Jahr 2004 drehten sich um vermeintliche Missstände in der
EU-Kommission. Was angesichts des schrumpfenden Vertrauens der
Bürger in die Behörde und ihres Rufs eines
unberechenbaren Bürokratiemonsters nicht überrascht.
Bisher steht ein einheitlicher Kodex für Verwaltungshandeln
auf Ebene der EU-Institutionen noch aus. Insgesamt wandten sich
2004 mehr als 3.400 Bürger an den EU-Ombudsmann - 53 Prozent
mehr als im Vorjahr. 113 Fälle schloss Diamandouros ab, ohne
einen Fehler der betreffenden EU-Behörde zu finden. Auf die
Einwohnerzahl hochgerechnet sind die Spitzenreiter der Nörgler
die Malteser. Die wenigsten Klagen kommen aus Großbritannien.
Auch Deutschland liegt mit 464 Briefen im unteren Drittel der
Beschwerden. Im September feierte die EU-Beschwerdestelle ihren
zehnten Geburtstag. Kurz zuvor war der 20.000 Brief im Kummerkasten
gelandet.
Als der Finne Jacob Söderman 1995 das neue Amt des
EU-Beschwerdemanagers antrat, gab es in dem Straßburger
Büro nur ihn und eine Sekretärin. Heute kümmern sich
mehr als 60 Mitarbeiter um die Anliegen der Bürger. Als Chef
der Behörde profitiert Diamandouros von seiner Erfahrung als
Ombudsmann in Griechenland. Dort baute er das Amt seit 1998 auf und
stürzte mit seinen Nachforschungen sogar einen korrupten
Regierungsminister.
Auf europäischer Ebene fallen die Erfolge des Griechen
bisher weniger spektakulär aus: So konnte er beispielsweise
durchsetzten, dass die Kommission bestimmte Dokumente zur
Verfügung stellt oder ein Bewerber nachträglich doch zu
einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird. Ehrgeizig ist
Diamandouros dennoch. "Ich versuche stets zu einer Lösung zu
kommen, mit der beide Seiten zufrieden sind", sagt er. "Ich bin ein
Vermittler, im Idealfall sollen alle gewinnen." Klappt es nicht mit
dem Vermitteln, und weist die betroffene Behörde die
Empfehlungen des Ombudsmannes zurück, kann er zu seiner
schärfsten Waffe greifen: einen im Ton freundlichen aber in
der Sache harten Brief an das EU-Parlament, der den Fall
öffentlich macht. Derzeit beschäftigen sich die
Parlamentarier mit Diamandouros Forderung an den Europäischen
Rat, nicht länger hinter verschlossenen Türen zu tagen.
Kritiker bemängeln, dass viele Vertreter der
Nationalregierungen kein Interesse daran hätten,
unpopopuläre Verordnungen im Angesicht der Öffentlichkeit
zu beschließen. Diamandouros ist überzeugt, dass der Rat
keine triftigen Gründe hat, unter Ausschluss der
Öffentlichkeit zu arbeiten. Auf gesetzliche Regelungen kann
der streibare Grieche Diamandouros nicht hoffen, denn ein
Ombudsmann hat keine Rechtsmacht. Der Grieche sieht dies jedoch
nicht als Schwäche seines Jobs, sondern als Stärke. Vor
Gericht ziehen, viel bezahlen und lange auf ein Urteil warten oder
lieber einen Vermittler einschalten, der schnell und
kostengünstig handelt - der Bürger in der EU müsse
wählen können, wo er sich beschwert, sagt Diamandouros.
"Das verbessert die Qualität einer Demokratie."
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