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Astrid Pawassar
Ein ziemliches Knirschen im Gebälk
Meinungsverschiedenheiten in Sachsens Koalition
werden deutlicher
Seit einem Jahr funktioniert die Koalitionsregierung aus CDU und
SPD in Sachsen. Glanz strahlte sie bislang nicht gerade aus. Aber
es gab auch keine Fehden. Die 9,8-Prozent-SPD war nach dem
mühsamen Start - Georg Milbradt (CDU) hatte bei der Wahl zum
Ministerpräsidenten offenbar nicht alle Stimmen aus dem
Regierungslager bekommen - bemüht, Solidarität mit dem
großen Regierungspartner zu zeigen. Der musste akzeptieren,
dass die Konsolidierung des Landeshaushaltes so schnell, wie
Milbradt dies wollte, nun nicht zu schaffen sein würde.
Dafür verbogen sich die Sozialdemokraten beim ersten
Prüfstein der neuen Regierung, den Entscheidungen für
Schulschließungen aufgrund der rückläufigen
Schülerzahlen. Der sozialdemokratische Juniorpartner musste
zunächst einmal Erfahrung im Regieren sammeln. Und so
präsentierte sich Sachsens neuer Wirtschaftsminister Thomas
Jurk (SPD) zunächst bescheiden in der Rolle des Lehrlings,
während der Ministerpräsident es sich nicht nehmen
ließ, sich bei öffentlichkeitswirksamen Terminen mit
Großinvestoren selbst in Szene zu setzen. Von
Wissenschaftsministerin Barbara Ludwig (SPD) war lange Zeit
überhaupt nichts zu hören. Im Landtag übte man sich
in gegenseitigen Höflichkeiten und im Bemühen, den
Provokationen seitens der NPD vereint die Stirn zu bieten. Bei
ihrem gemeinsamen Fazit nach einem Jahr Koalitionsregierung
übertrafen sich die Fraktionsvorsitzenden von CDU und SPD,
Fritz Hähle und Cornelius Weiss, geradezu in der Versicherung
gegenseitigen Respekts.
Die Opposition im Sächsischen Landtag geriet darüber
schier in Verzweiflung. Vergeblich forderte Peter Porsch für
die Linksfraktion eine Regierungserklärung des
Ministerpräsidenten über das erste Jahr der gemeinsamen
Politik mit der SPD. Von "Politik im Schneckentempo" sprach die FDP
im Landtag und hielt der Regierung vor, zugunsten des
Koalitionsfriedens auf Politikgestaltung weitgehend zu verzichten.
Notwendige Entscheidungen würden vertagt, wenn sie zwischen
den Regierungspartnern umstritten seien, wesentliche Bestandteile
des Koalitionsvertrages - wie kostenträchtige neue
Arbeitszeitmodelle für Lehrer und eine nennenswerte
Aufstockung des pädagogischen Personals an Grundschulen -
nicht umgesetzt.
Als hätte die Kritik an der - von Regierungsseite nicht
öffentlich aufgestellten - Jahresbilanz eine Schleuse
geöffnet, fühlten sich offenbar immer mehr
Sozialdemokraten ermutigt, ihr unterschwelliges Unbehagen über
mangelnde Profilierungsmöglichkeiten innerhalb der Koalition
nun in Worte zu kleiden. Dabei ist man peinlich darauf bedacht, die
Meinungsdifferenzen nicht zu sehr hoch zu kochen. Als erster
meldete sich der SPD-Fraktionsvorsitzende mit herber Kritik an
einem vom CDU-Parteitag verabschiedeten Leitantrag "Deutscher
Patriotismus in Europa" zu Wort. Der darin vorkommende Begriff der
"historischen und kulturellen Schicksalsgemeinschaft der Nation"
stieß Cornelius Weiss besonders übel auf, was die CDU als
Einmischung in innerparteiliche Angelegenheiten zurückwies. An
der Front war schnell Ruhe, als die CDU auf ihr Vorhaben
verzichtete, einen Gesetzentwurf in den Landtag einzubringen, der
das Singen der Nationalhymne in Sachsens Schulen verbindlich
vorschreiben sollte. Die NPD hatte die Idee aufgegriffen und als
eigenen Antrag eingebracht, weshalb sich die Christdemokraten
darauf besannen, dass die Nationalhymne ohnehin schon Lehrstoff an
den Grundschulen ist.
Nach diesem Geplänkel überraschte
Ministerpräsident Milbradt bei einer Festrede an der
Bergakademie Freiberg mit einem Vorstoß zur Reform des
Hochschulgesetzes, die im kommenden Jahr ansteht. Dabei sprach er
sich für weitgehende Personal- und Finanzhoheit der
Hochschulen aus, die sich zu Dienstleistungsunternehmen wandeln
sollten. Er plädierte gleichermaßen für Alternativen
zur derzeitigen drittelparitätischen Mitbestimmung wie auch
für die Einführung von Studiengebühren. Damit hatte
er seine Kabinettskollegin Barbara Ludwig aus der Reserve gelockt.
Sie feuerte noch am selben Tag per Presseerklärung ihr "Nein"
zu Studiengebühren ab. Unterdessen ließ die
hochschulpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Simone Raatz, noch
verlauten, sie werte die Rede des Ministerpräsidenten als
Unterstützung für die Wissenschaftsministerin in dem
Bemühen, Sachsens Universitäten zu modernisieren. Bei der
Debatte im Landtag traten die Meinungsverschiedenheiten dann
ungeschminkt zutage. Während Ludwig ihre Ablehnung von
Studiengebühren bekräftigte und Raatz sie als unsozial
bezeichnete, weil 40 Prozent der sächsischen Studenten auf
BAföG-Gelder angewiesen seien, beklagte Milbradt mangelnde
Weitsicht und Provinzialität der Debatte. Er stellte dem
Koalitionspartner allerdings in Aussicht, ihm an anderer Stelle
entgegenzukommen. Mehr Investitionen in die vorschulische Bildung
bezeichnete er als sinnvoll. Der Entwurf für ein neues
Hochschulgesetz, der ursprünglich zu Jahresbeginn vorliegen
sollte, wird nun erst im Frühjahr auf den Tisch kommen.
Und auch in puncto Verwaltungsreform knirscht es offenbar im
Gebälk. Sachsens neuer Innenminister, Albrecht Buttolo (CDU),
verkündete gleich nach seiner Vereidigung, dass er - entgegen
der einhelligen Auffassung innerhalb der SPD - für die
Beibehaltung der drei Regierungspräsidien sei. Die
sozialdemokratische Vorsitzende des Landtags-Innenausschusses
schlug darauf hin einen Unterausschuss für die Verwaltungs-
und Strukturreform vor. Bissiger Kommentar des Parlamentarischen
Geschäftsführers der CDU-Fraktion Heinz Lehmann: Damit
stelle sie ihre eigene Kompetenz in Frage.
Die ersten Nadelstiche sind gesetzt. Nach dem Weihnachtsfrieden
wird sich die Regierungsgemeinschaft wider Willen fragen
müssen, ob der Zeitpunkt schon reif ist für
grundsätzliche Auseinandersetzungen. Hochschulgesetz und
Verwaltungsreform sind die ersten echten Prüfsteine für
die Frage, ob Politik in Sachsen in einer CDU/SPD-Koalition machbar
ist.
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