Keinen Kaffee zwischendurch, kein Brötchen
unterwegs
Interview mit dem Studenten Sebastian Scharch
zum Selbstversuch an der Berliner Humboldt-Universität, einen
Monat von Hartz IV zu leben
Er hat es geschafft: Vier Wochen lang lebte
Sebastian Scharch wie zwölf weitere seiner Kommilitonen der
Humboldt-Universität Berlin auf Hartz-IV-Level - sprich von
345 Euro plus Warmmiete. Essen, Kleidung, Ausgehen - einfach alles
musste von diesem Geld bestritten werden. Obwohl er auch sonst
nicht über viel mehr verfügt, hatte Sebastian Scharch
doch mit sich zu kämpfen. Und er fragt sich heute: Wie
hält man das eigentlich länger durch? Im Interview
berichtet der 21-jährige Bachelor-Student der
Sozialwissenschaften von seinem freiwilligen Verzicht und warum er
Hartz-IV-Empfänger bewundert.
Das Parlament: Herr Scharch, die vier
Wochen sind fast um - wie geht es Ihnen?
Sebastian Scharch: Ich bin heute bei
einem Euro angekommen - das ist das Geld, das ich noch für
morgen habe. Über körperliche Mängel oder Hunger
kann ich nicht klagen. Auch Lebensmittel habe ich noch im Vorrat.
Aber ich verspüre einen gewissen Nachholbedarf in Sachen
Kultur und Unterhaltung, denn da musste ich auf einiges verzichten:
Eintrittspreise bezahlen, Weggehen, Freunde einladen - das war
nicht mehr möglich.
Das Parlament: Was war Ihr
größter Verzicht?
Sebastian Scharch: Ich hatte ein
Problem mit der Mobilität. Meine Familie wohnt nämlich in
Thüringen. Normalerweise fahre ich ab und an zu Besuch
dorthin. Eine Bahnkarte für 40 Euro war aber bei dem Budget
nicht mehr drin.
Das Parlament: Was haben Sie
getan?
Sebastian Scharch: Manchmal habe ich
einfach offen gesagt, dass es wegen meiner finanziellen Lage
momentan nicht geht. Aber für den Versuch ist das nicht
besonders sinnvoll, weil man ja Alternativen finden muss. Deshalb
habe ich teilweise die Mitfahrzentrale genutzt. Der Rabatt mit der
Bahncard war in meinem Fall nicht groß genug, als dass er die
Kosten kompensiert hätte.
Das Parlament: Gab es weitere
Probleme?
Sebastian Scharch: Ja, man kann keine
schönen Geburtstagsgeschenke mehr machen, obwohl man das gerne
möchte. Man kann sich aber auf Gutscheine verlegen, etwas im
An- und Verkauf besorgen oder jemanden zum Essen nach Hause
einladen - das funktioniert.
Das Parlament: Bei guter Planung und
mit ein wenig Erfindungsreichtum konnten Sie also einigermaßen
gut mit Ihrem Geld wirtschaften?
Sebastian Scharch: Ja. Trotzdem gibt
es immer Dinge, an die man nicht denkt, so wie die
Praxisgebühr und die Zuzahlung bei Medikamenten. Oder wenn
größere Neuanschaffungen anstehen: Mir ist beispielsweise
der Kühlschrank kaputtgegangen. Eigentlich müsste man
für solche Fälle zusätzlich jeden Monat Geld
zurücklegen. Das ist schwer möglich, glaube
ich.
Das Parlament: Während Ihres
Versuchs haben Sie genau Buch darüber geführt, wie viel
Geld Sie wofür ausgegeben haben. Was waren die
größten Posten?
Sebastian Scharch: Wir haben die
Ausgaben in sechs Bereiche unterteilt: Nahrung, Kleidung,
Mobilität, größere Anschaffungen, Kultur und
Sonstiges. Wenn man nicht auf sein Budget achtet, gibt man das
meiste Geld für Kultur aus. Und für Dinge wie den Kaffee
zwischendurch oder das Brötchen unterwegs. Das schränkt
man komplett ein. Nahrung ist dem gegenüber ein erstaunlich
kleiner Posten. Ich habe festgestellt, dass man Lebensmittel sehr
günstig einkaufen kann.
Das Parlament: Würden Sie nach
diesen fast vier Wochen den Versuch fortsetzen?
Sebastian Scharch: Ich würde es
ungern auch nur noch um einen Monat verlängern wollen. Manche
Einschränkungen würde ich nicht länger schaffen. Ich
habe auch auf Dinge verzichtet, die ich eigentlich brauchte,
beispielsweise einen Winterpullover und Winterschuhe.
Das Parlament: Das heißt, Sie
müssten sich, wollten Sie weiter auf diesem Level leben,
verschulden?
Sebastian Scharch: Realistischerweise
ginge es vielleicht noch drei oder vier Monate. Ich habe ja ein
paar Reserven und nicht alle Kleidungsstücke gehen sofort
kaputt. Aber ich könnte mir nicht vorstellen, ein Jahr so zu
leben. Natürlich gibt es die Möglichkeit, sich Sachen
günstig auf dem Flohmarkt oder im Second-Hand-Shop zu kaufen.
Langfristig halte ich das aber nicht für die beste
Lösung.
Das Parlament: Trotzdem: In Berlin
gibt es in dieser Hinsicht mehr Möglichkeiten als in anderen
Städten, oder nicht?
Sebastian Scharch: Ja, Berlin ist eine
billige Großstadt. Es gibt viele kostenlose oder
kostengünstige Angebote, auch bei Lebensmitteln. Es gibt ein
Sozialti-cket für die Bahn und wegen der guten Infrastruktur
benötigt man kein Auto. Auf dem Land wäre das viel
schwerer, weil man möglicherweise auf einen PKW angewiesen
ist.
Das Parlament: Wie haben Ihre Freunde
auf Ihren Versuch reagiert?
Sebastian Scharch: Zum Teil waren sie
verwundert, zum Teil fanden sie es interessant. Die meisten Leute
haben ja ihre Ausgaben nicht unter Kontrolle. Wer schreibt schon
auf, was er ausgibt oder hat? Aber da ich auch ansonsten wenig Geld
fürs Ausgehen ausgebe, war das ein nicht so großer
Einschnitt.
Das Parlament: Was hat der Versuch bei
Ihnen bewirkt?
Sebastian Scharch: Zum einen gehe ich
noch bewusster mit dem wenigen Geld um, das ich zur Verfügung
habe. Das heißt, ich gebe jetzt noch weniger aus und versuche,
etwas zurückzulegen. Zum anderen entwickelt man Respekt vor
Leuten, die Hartz IV beziehen. Es ist wirklich eine
Lebenskünstler-Angelegenheit, solch ein Leben zu managen. Man
muss sich gut organisieren, Preise vergleichen und oft lange nach
günstigen Angeboten suchen. Auch das soziale Leben leidet
darunter, und das zu kompensieren, ist sicher schwer.
Das Parlament: In Ihrem Seminar werden
Sie "echte" Hartz IV-Empfänger zu Besuch haben. Was werden Sie
dann fragen?
Sebastian Scharch: Uns Studenten
interessiert vor allem, wie so ein Leben auf lange Zeit aussieht.
Wir wollen fragen, wie man sich fühlt, wenn man sich nicht
durch das Studium oder die Arbeit ablenken kann. Wie es ist, so
viel Zeit zu haben, aber kein Geld. Gehen da Freundschaften zu
Bruch? Und wie fühlt man sich, wenn man ständig diese
Amtsgänge vor sich hat? Das konnten wir in unserem Versuch
nicht nachstellen.
Das Parlament: Nun haben Sie wieder
etwas mehr Geld in der Tasche. Was machen Sie damit?
Sebastian Scharch: Wirklich viel mehr
ist es nicht. Aber was ich in den letzten Wochen wegen des Versuchs
nicht ausgeben durfte, gebe ich für Weih-nachtsgeschenke
aus.
Das Interview führte Susanne Sitzler
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