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Susanne Kailitz
Aufgekehrt...
Was sich morgens in vielen deutschen Wohnungen abspielt, ist
nicht schön: Zerknitterte Wach-Schlaf-Zombies, die sich mit
einer Hand an ihrer Kaffeetasse festhalten und mit der anderen ihre
Augen vor dem viel zu grellen 60-Watt-Küchenlicht bedecken,
versuchen verzweifelt, sich in einen Zustand zu bringen, der es
ihnen erlaubt, das Büro zu erreichen, ohne noch auf dem Weg
zur U-Bahn wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses
festgenommen zu werden.
Sie kennen dieses Drama aus eigener, bitterer Erfahrung? Dann
ist die Diagnose klar: Sie gehören eindeutig zu den 20 bis 30
Prozent der Bevölkerung, die andere Schlafbedürfnisse
haben als die Mehrheit - und die nun, Dank des Vereins "Delta t"
endlich eine Lobby in der Gesellschaft haben. Nicht Morgenmuffel
oder Schlafmützen nennen sich die Mitglieder dieses Vereins,
nein, sie bezeichnen sich selbstbewusst als "zweitnormale" Menschen
und haben den Kampf aufgenommen gegen die Diktatur der erstnormalen
Frühaufsteher.
Deren Rhythmus orientiere sich am "Idealtypus des frühen
Huhns" und dominiere den Tagesablauf der gesamten Gesellschaft -
sei es bei Arbeits-, Öffnungs- oder Schulzeiten. In kaum einem
anderen Land beginnen Unterricht und Arbeit so früh wie in
Deutschland - dadurch fühlen sich die "Delta t"-Mitglieder,
die nicht in der Lage sind, bei Tagesanbruch quietschfidel aus dem
Bett zu krabbeln, diskriminiert. Schon in früher Kindheit
werden die Zweitnormalen zu unchristlichen Zeiten aus dem Bett und
in den Kindergarten getrieben, später kämpfen sie dann
mit unmenschlichen Arbeitszeiten - und ärgern sich jede Woche
schwarz über krachende Müllfahrzeuge, die in aller
Herrgottsfrühe rumpelnd den Unrat abholen. Das Motto der
Delta-t-ler lautet deshalb: "Wenn der Hahn kräht auf dem Mist,
sind wir, wo es schöner ist." Nämlich im Bett. Etwa 140
Mitglieder hat der "Verein für Zweitnormalität", unter
ihnen viele Akademiker und Freiberufler. Sie verweigern sich
frühmorgendlichen Anrufern, Lieferanten oder Postboten und
beginnen den Tag einfach drei oder vier Stunden später als
normale Leute.
Das hat durchaus gesundheitliche Vorteile. Medinzinische Studien
haben gezeigt, dass zu wenig Schlaf Gereiztheit,
Konzentrationsstörungen und eine erhöhte
Anfälligkeit gegenüber chronischen Krankheiten
hervorrufen kann. Schlimmer noch: Schlafmangel macht dick, denn bei
einem zu geringen Schlafpensum erhöht der Körper
dieProduktion von appetitanregenden Hormonen und bunkert mehr
Fett.
Grund genug für die Zweitnormalen, sich nicht länger
knechten zu lassen. Sie planen die Eröffnung einer
Bundesvertretung, in Berlin zwischen Finanz- und
Gesundheitsministerium gelegen, um besser gegen die
Frühaufsteherdoktrinen kämpfen zu können und
präsent zu sein. Wann das Büro geöffnet sein wird,
ist noch unklar - nur sicher nicht zu früh. Die Zweitnormalen
sind ja keine Hühner.
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