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Christoph Seils
Tourismus entlang der "Neidgrenze" - oder wie man
mühsam zusammenfindet
Der niedersächsische und der
sachsen-anhaltinische Teil des Harzes vor der Fusion zu einem
länderübergreifenden Nationalpark
Es sind die kleinen Dinge, die Henning Möller in
Entzücken versetzen. Junge Fichtentriebe, die aus einem
vermoderten Baumstamm herauswachsen, Buchen, die sich auf kleinen
Lichtungen im dichten Nadelwald behaupten oder auch Ebereschen, die
wieder dort ihren Platz gefunden haben, wo Jahrhunderte lang
gewerbsmäßig Fichten angebaut wurden. "Das ist Dynamik,
das ist Entwicklung, da ist Bewegung drin", sagt Henning
Möller dann. Ganz so, als könnte der Chefranger des
Nationalparks Hochharz Bäume wachsen sehen.
Kann er natürlich nicht. Aber seit vielen Jahren kann er
beobachten, wie sich die Natur im Harz verändert, wenn diese
sich selbst überlassen wird, wenn der gewerbsmäßige
Holzanbau eingestellt, der Borkenkäfer nicht mehr
bekämpft wird und Förster allenfalls an der einen oder
anderen Stelle ein bisschen nachhelfen, damit die
ursprüngliche Flora und Fauna wieder zurück-kehrt. Der
Hochharz in Sachsen-Anhalt ist Entwick-lungsnationalpark. In den
kommenden 30 Jahren soll auf 75 Prozent seiner Fläche
unberührte Natur zurückkehren, sollen sich Moore und der
Brocken-Urwald mit ihrer Tundravegetation wieder ausdehnen.
Doch es gehört zu den Folgen der deutschen Teilung und des
bundesdeutschen Föderalismus, dass sich der Nationalpark Harz
im benachbarten Niedersachsen dasselbe Ziel gesetzt hat: Mit einer
eigenen Verwaltung, eigenen Rangern und eigenen Wanderkarten. Dort,
wo 50 Jahre der Eiserne Vorhang verlief, ist bis heute die Grenze
zwischen dem niedersächsischen Nationalpark Harz und dem
sachsen-anhaltinischen Nationalpark Hochharz markiert.
Das soll sich jetzt ändern. Zum Jahresende wollen die
beiden Nationalparks fusionieren, nur ist dies gar nicht so
einfach. Der Festakt, der ursprünglich am 3. Dezember
stattfinden sollte, wurde in den Februar verschoben, obwohl
Bundespräsident Horst Köhler bereits eingeladen war. Bis
zum letzten Moment arbeiten Experten der Landesregierungen in
Hannover und Magdeburg an Gesetzestexten und am Staatsvertrag. "Die
Fusion ist ein Symbolprojekt für die deutsche Einheit", betont
der Vorsitzende des Fördervereins Nationalpark Harz, Friedhart
Knolle.
Die Geschichte des Nationalparks Harz begann vor 16 Jahren. Am
3. Dezember 1989 erzwangen Wanderer aus Ost und West den Zugang zu
dem Horchposten der Sowjetarmee auf der Kuppe des 1.141 Meter hohen
Brocken. An jenem kalten und windigen Wintertag wurde aus dem
Symbol der deutschen Teilung ein Symbol der Wiedervereinigung.
Zäune wurden niedergerissen, alte Wanderwege neu erkundet, und
die Sowjetsoldaten servierten dazu heißen Tee. Zehn Monate
später erklärte die letzte DDR-Regierung das Gebiet rund
um den höchsten Berg des Harzes zum Nationalpark.
Doch die Fusion ist nicht nur ein Symbol, sondern auch ein
Experiment. Die Ost-West-Gegensätze im Harz sind groß. Im
Kampf um die Harztouristen sind Ost und West erbitterte
Konkurrenten. Knapp 1,8 Millionen Besucher übernachteten im
Jahr 2004 im Harz, bislang fast 60 Prozent im Westteil, obwohl
dieser nur etwa ein Drittel des Gebirges umfasst und die
Infrastruktur im Ostharz mittlerweile Westniveau hat. Mehr noch.
Viele Hotels sind moderner, dank der staatlichen Fördergelder
ist die Spaßbad-Dichte größer. Mit großer Sorge
beobachten die Niedersachsen nun, dass die Zahl der Besucher in
ihrem Teil des Harzes sinkt, im Ostteil nach dem
vereinigungsbedingten Einbruch hingegen wieder zunimmt. Manch ein
Harzer nennt das Grüne Band, das im Harz an die Stelle des
Eisernen Vorhanges getreten ist, deshalb gar eine "Neidgrenze".
Zehn Jahre lang wurde über die Fusion der beiden
Nationalparks gestritten. Lange konnten sich die beiden Länder
beispielsweise nicht darauf einigen, wo die Verwaltung des Parks
untergebracht wird. Am Ende setzte sich mit Wernigerode der Osten
durch. Dafür darf Niedersachsen den Leiter des Nationalparks
stellen. "Es gab Vorurteile in Ost und West", räumt der Leiter
des fusionierten Nationalparks, Andreas Pusch, ein, aber er
fügt hinzu: "Wir sind uns viel näher, als wir dachten."
Das wird sich noch zeigen, schließlich müssen viele
Ost-West-Gegensätze erst noch überwunden werden,
angefangen bei der Strategie. Während die Sachsen-Anhaltiner
einen behutsamen Weg der Renaturierung gewählt haben, greifen
die Niedersachsen intensiv in diesen Prozess ein. "Naturschutz in
den alten Ländern bedeutet, aktiv etwas tun. Dort sagt man,
wir machen ein Biotop", erklärt der stellvertretende
Nationalparkleiter, Hans-Ulrich Kison.
Im Osten hingegen lasse man es eher laufen, "auch wenn es etwas
länger dauert". Doch die unterschiedlichen Strategien liegen
auch darin begründet, dass der Harz im Westen vor der Wende
intensiv touristisch genutzt wurde, viele Wanderwege ausgebaut
wurden. Der Brocken in der DDR hingegen war militärisches
Sperrgebiet und der Wald darin weitgehend sich selbst
überlassen. Hinzu kommt, dass im niedersächsischen
Nationalpark weiterhin Holz vermarktet wird und die Einnahmen im
Landeshaushalt eingeplant sind. Selbst die Jagdtechniken sind
unterschiedlich. Im Osten wird das Wild bei der Jagd getrieben, im
Westen wird von Hochsitzen aus gejagt.
Dabei sind beide Parks eine Erfolgsgeschichte. Ohne Beteiligung
der Öffentlichkeit hatte die letzte DDR-Regierung die
Einrichtung des Nationalparks 1990 beschlossen. Viele Gemeinden im
Ostharz träumten damals jedoch nicht von Biotopen an den
Brockenhängen, sondern von Skipisten. Die
niedersächsische Landesregierung dagegen führte zwar eine
mehrjährige Bürgerbeteiligung durch, dennoch musste sie
die Einrichtung des Nationalparks gegen den Protest von
Harz-Bewohnern und Tourismusmanagern durchsetzen. Diese
befürchteten, "Ökospinner" könnten Wanderwege
sperren, sich mehr um Borkenkäfer kümmern als um die
Menschen und so Touristen verschrecken. "Die Akzeptanz des
Nationalparks war gleich Null", erinnert sich Friedhart Knolle. Das
ist mittlerweile anders. Einer Umfrage des Harzer Verkehrsverbundes
zufolge kommen 93 Prozent der Besucher wegen der Natur in den Harz,
für 41 Prozent spielen dabei die beiden Nationalparks eine
besondere Rolle. Zehn Millionen Gäste besuchen jährlich
die Nationalparkregion, Hauptanziehungspunkt ist der Brocken,
dessen Gipfel jährlich etwa zwei Millionen Besucher erklimmen,
entweder zu Fuß oder mit der dampfenden Harzer Schmalspurbahn.
Oben auf dem Gipfel erinnert nicht mehr viel an den Kalten Krieg:
Die hohe Mauer rund um die natürlich waldfreie Brockenkuppe
wurde abgerissen. Wo einst Militärbaracken standen,
wächst wieder Heide, in der früheren
Stasi-Abhörzentrale befindet sich heute eine Ausstellung
über den Nationalpark.
Ab Januar gehört das Besucherzentrum nicht nur zum
größten Waldnationalpark in Deutschland, sondern es
entsteht auch der erste länderübergreifende Nationalpark.
Wenn es denn den beiden Ländern gelingt, auf der Zielgeraden
die letzten juristischen Probleme aus dem Weg zu räumen. Der
Föderalismus macht es nicht einfach, beide Parks
zusammenzulegen. Das fängt mit so praktischen Sachen wie dem
Dienstrecht oder der Software an, die beide in Sachsen-Anhalt und
Niedersachsen unterschiedlich sind. So muss beispielsweise geregelt
werden, dass niedersächsische Beamte auch an den Dienstort
Wernigerode in Sachsen-Anhalt versetzt werden dürfen. Den
Rangern, die weiter entweder in Niedersachsen oder Sachsen-Anhalt
beschäftigt sein werden, muss erlaubt werden, auch im jeweils
anderen Bundesland Touristen zur Ordnung zu rufen oder
Bußgelder zu verhängen. Ein zweiter Staatsvertrag muss
deshalb her. In einem ersten Staatsvertrag zur Fusion der beiden
Nationalparks, der von beiden Ländern im August 2004
unterzeichnet worden war, hatten die Juristen solche
Spitzfindigkeiten des Föderalismus nicht bedacht.
Den Luchsen sind die genauso egal wie Ländergrenzen. Die
größte Wildkatze Europas gehört zu den Gewinnern des
Nationalparks Harz. Bis vor fünf Jahren war der Luchs im Harz
ausgestorben, jetzt sind etwa 15 dieser Raubkatzen mit den
markanten Pinselohren erfolgreich ausgewildert worden. Nur einen
Luchs hielt es nicht im Harz, er ist mittlerweile in den Naturpark
Solling weitergewandert.
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