11.4.2.4 Offene Fragen auf dem Weg zu einem fairen
und nachhaltigen Welthandel
Die in erheblichem Umfang aus wachsenden
(gesundheitlichen, umweltbezogenen, sozialen) Ansprüchen der
Konsumenten im Norden resultierende Standardsetzung für
Importe (s. dazu auch Kapitel 3.5.3 und
7.7.7.1) stellt die Nord-Süd Handelspolitik unter
entwicklungspolitischen Gesichtspunkten ebenso wie aus Aspekten der
WTO-Konformität vor viele noch ungelöste
Herausforderungen. Transparenz im Rahmen von multilateral
vereinbarten WTO Mechanismen (zeitlicher Vorlauf,
Überprüfung, Verfahren mit geringstem
entwicklungspolitischem Nachteil) und erforderlichenfalls
Umstellungshilfen sind hier Forderungen, um protektionistischen
Missbrauchs zu vermeiden.
Ebenso gibt es im Norden wie im Süden
aus derartigen Nachhaltigkeitsgesichtspunkten konfliktreiche
Vorstellungen (unter Gesundheitsgesichtspunkten z.B. hinsichtlich
des Einsatzes von Hormonen oder gentechnisch veränderten
Pflanzen auch innerhalb des Nordens) hinsichtlich der Sicherung
bäuerlicher Strukturen, der Sicherung lokaler Produktion und
Ernährung. Sie begrenzen sowohl im nördlichen
(Multifunktionalität, standortgerechte Bodenbewirtschaftung,
regionale Vermarktung, Lebensmittelsicherheit), wie im
südlichen (Ernährungssicherung/Development Box) Interesse
die Ausschöpfung rechnerischer Marktpotentiale nicht nur
großer Produzenten.
Dies ist
möglicherweise mit einem im heutigem Preissys tem
messbaren Einkommensverzicht verbunden, der aber mit kulturellen,
regionalen und traditionellen Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit
abzuwägen ist. Auch daher die hohe Bedeutung des
„special and differential treatment“ für viele
Entwicklungsländer. Eine vergleichbar differenzierte und
vorsichtige Position hat die Mehrheit der Kommission in ihrer
Haltung zu den in der WTO laufenden GATS-Verhandlungen über
die Öffnung von Dienstleistungsmärkten eingenommen (s.
E 3-11 ff.).
Zwischen dem
Wunsch nach wachstumsförderlicher schneller Integration in den
Weltmarkt (womöglich auf Kosten der Umwelt) und dem Wunsch
einer umweltschonenden („leapfrog into the solar
age“18) Entwicklung
entsteht ein für viele Entwicklungsländer ohne Hilfe von
außen verständlicherweise häufig zu Lasten der
Umwelt gelöster Konflikt.
Hier spiegeln
sich m.E. durchaus berechtigte im vorliegenden Bericht und auf der
internationalen Ebene noch nicht befriedigend austarierte Anliegen
nachhaltiger Entwicklung im Norden und im Süden, die es ernst
zu nehmen gilt. Genauso wie den Menschen im Norden eine
Arbeitsimmigration in großem Umfang offensichtlich nicht
zuzumuten ist, muss der Norden Verständnis aufbringen für
Vorstellungen im Süden speziell nach einer Sicherung der
einheimischen Nahrungsmittelversorgung und generell
eigenständigen Perspektiven von Entwicklung.
In
vielfältiger Weise hat sich die Kommission in diesem
Zusammenhang ausgehend von den positiven Erfahrungen der EU mit
Empfehlungen zur Förderung der Regionalisierung insbesondere
zugunsten der Chancen von Entwicklungsländern befasst –
sowohl in Fragen der Finanzmärkte und der
makroökonomischen Steuerung (E 2-6, 2-8, 2-12) als auch
hinsichtlich ihrer politischen Stärkung und der besseren
Nutzung von UN-Strukturen (E 10-3, 10-8). Ein Vertreter
einer Süd-NGO hat für die Kommission (s. Kapitel10.2.3.2)
aus seiner Sicht der Erfahrungen von Entwicklungsländern in
der Zusammenarbeit mit dem Norden den Vorschlag einer
weitreichenden Selbstbestimmung einzelner Weltregionen
(„Deglobalisierung“) über ihre Entwicklungswege
entwickelt.
18 Sachs (2002: 22).
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