*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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11.4.2.3   Protektionismus des Nordens

Anhaltende massive Marktzugangsbeschränkungen des Nordens sind nach gemeinsamer Einschätzung von OECD und IWF10 das zentrale handelspolitische Nord-Süd Thema. Sie betreffen schwerpunktmäßig Agrarprodukte sowie Textilien und Bekleidung.

Schätzungen von WTO und UNCTAD über das potentiell mögliche zusätzliche Exportvolumen des Südens bei Fortfall aller Zugangsbeschränkungen des Nordens bewegen sich zwischen ein und zwei Mrd. US-Dollar pro Tag.11 Dies würde für die Länder des Südens eine Ausweitung ihrer Exporteinnahmen um bis zu 50 Prozent bedeuten und einer Anzahl von ihnen damit dringend benötigte Mittel zur eigenständigen Entwicklungsfinanzierung bereitstellen können

Die in Empfehlung 3-8 zu recht angesprochene, die Chancen der Entwicklungsländer diskriminierende, Art der Zollerhebung bedeutet heute12 noch immer, dass zwei so unterschiedliche Länder wie die Mongolei und Norwegen an die USA jährlich Einfuhrzölle von 23 Mio. US-Dollar bezahlen, mit dem Unterschied, dass die Mongolei dafür Strickwaren im Werte von 143 Mio. US-Dollar und Norwegen Rohöl, Triebwerke und geräucherten Lachs für 5,2Mrd. US-Dollar verkaufen konnte. Jeder in den USA erzielte Dollar ist damit für die Mongolei mit 16 Cents und für Norwegen mit 0,5 Cents belastet . Auch im Rahmen der EBA Initiative der EU wird die Mongolei weiter Zoll zahlen müssen, da sie nicht zu den dort begünstigten 49 ärmsten Ländern gehört. Weitere Marktöffnungen gerade für weiter entwickelte Entwicklungsländer sind für deren angestrebte tiefere Integration in den Weltmarkt vordringlich.

Tarifäre Zugangsbeschränkungen, wie sie im Vordergrund der Empfehlung 3-8 stehen, stellen heute nicht mehr das Haupthemmnis beim Marktzugang für Entwicklungsländer dar. Der oben genannte Trade and Development Report (UNCTAD 2002) verweist auf die seit 1980 erheblich gestiegenen Anteile der Entwicklungsländer am Welthandel insgesamt und speziell am Industriegüterhandel. Diese zahlenmäßigen Zuwächse sind aber aufgrund der nördlichen Marktbarrieren mit einer Vielzahl von strukturellen Fehlallokationen in Entwicklungsländern verbunden, die dazu beitragen, dass der Zuwachs des für das innere Wachstum dieser Länder notwendigen Wertschöpfungsanteils mit ihrer Handelsentwicklung nicht Schritt hält, ja sich teilweise sogar gegenläufig entwickelt. Die Industrieländer haben danach dagegen seit 1980 15 Prozent Marktanteile verloren, aber u.a. durch ihre Kontrolle weltweiter Produktionsnetze13 ihren Wertschöpfungsanteil um 15 Prozent erhöhen können. Ein Gegensteuern würde eine stärkere Ansiedlung von Wertschöpfungsketten im Süden verlangen. Die Zugangsbarrieren führen auch zu einem verschärften Konkurrenzkampf von Entwicklungsländern untereinander mit nachteiligen Auswirkungen auch auf Sozialstandards. In diesem Zusammenhang stellen aus wachsenden Ansprüchen der Verbraucher im Norden resultierende Standards (s. Kapitel 11.4.2.4) eine weitere noch ungelöste handelspolitische Herausforderung dar.

Anti-Dumping Maßnahmen (s. Kapitel 3.3.2.1.) sind ein indirekter aber vor allem gegenüber schwachen Ländern mit wenigen Exportgütern höchst wirksamer und häufig protektionistisch missbrauchter Schutzmechanismus. Die Empfehlung 3-9 bleibt hier im Rahmen der EU-Position und berücksichtigt nicht auch nach Meinung von OECD und UNCTAD14 sinnvolle Schritte zur Einschränkung des Missbrauchs durch starke Länder, wie er von Entwicklungsländern im Hinblick auf das Auslaufen des besonderen Schutzes nördlicher Produzenten von Textilien und Bekleidung ab 2005 befürchtet wird.

„Special and Differential Treatment“ (s. Kapitel 3.3.2.2.) ist eine handelsrechtliche Ausformung des nur partiell ins GATT und später die WTO aufgenommenen Grundsatzes der Solidarität, mit dem Ziel, den grundsätzlichen kräftemäßigen Nachteilen von Entwicklungsländern in einer Freihandelsordnung mittels systematischer entwicklungsförderlicher Ausnahmeregelungen gerecht zu werden. In    ihrem Rahmen gibt es derzeit über 145 spezielle Regelungen.15

Aus Sicht der Entwicklungsländer ist der Anspruch aber immer mehr zu einem Druckmittel der Industrieländer für Wohlverhalten einzelner Länder(-gruppen) verkommen. Aus solchen Erfahrungen stammt die Forderung einer Reihe von Entwicklungsländern, hierfür ähnlich bislang meist von IL durchgesetzten Sonderabkommen der WTO ein Rahmenabkommen zum „special and differential treatment“ mit einem höheren Maß an Verlässlichkeit für die Begünstigten zu entwickeln. UNCTAD und OECD haben auch hierzu vielfältige Vorschläge unterbreitet, die deutlich über die Empfehlung 3-10 hinausreichen.16

Nahezu ein Tabuthema für den Norden ist im Zusammenhang der Marktöffnung allerdings die Mobilität von Arbeitskräften.17 Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass wir unseren Wohlstand und Frieden auf Dauer nur bewahren können, wenn es gelingt, dass Hunderte von Millionen von Menschen in den („Jobs to the people“) Entwicklungsländern u.a. durch eine weit reichende Marktöffnung im Norden für sich und ihre Kinder mehr Perspektiven als bisher sehen.



10 Siehe OECD (2001: 10), ähnlich IWF Direktor Horst Köhler (2001: 24).

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11 700 Mrd. US-Dollar jährlich für das Jahr 2005 hat die UNCTAD (2002: 46, 136) geschätzt Moore (2002); schätzt für heute die Hälfte.

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12 Moore (2002).

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13 OECD (2001: 24), UNCTAD (2002: 73 ff., 99 ff.).

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14 OECD (2001: 12, UNCTAD (2002: 62).

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15 OECD (2001: 13).

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16 UNCTAD (2002: 42 ff., OECD (200: 105 ff.).

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17 Im Zwischenbericht (2001: 70) war hierfür noch eine besondere Behandlung in der weiteren Arbeit der Kommission vorgesehen. Die GATS Verhandlungen schließen eine Lockerung für befristet tätige Fachleute ein. Siehe dazu auch Kapitel 3.3.3.5.7.

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