Zweifel an Wahl in Aserbaidschan
Zehn Jahre nachdem Aserbaidschans als ehemalige Teilrepublik der Sowjetunion seine Unabhängigkeit erreichte, stellt der Europarat die seit drei Jahren bestehende Mitgliedschaft dieses Landes in der Straßburger Demokratieorganisation ernsthaft in Frage. Ausgelöst wurde die erneute Befassung mit der innenpolitischen Situation des Landes am 27. Januar durch die aus Straßburger Sicht völlig inakzeptablen Präsidentschaftswahlen im Oktober 2003, bei der Ilham Alijew die Nachfolge seines Vaters Hejdar Alijew antrat. Der Berichterstatter der Parlamentarische Versammlung, Andreas Goss, erklärte, es habe fast des Heldentums bedurft, um sich im Vorfeld der Wahl als Anhänger der Opposition zu erkennen zu geben. Die Umstände der Wahl sowie die Gewalt und Unterdrückung, die sich gegen Andersdenkende gerichtet habe, sei dann umgekehrt bei den Ausschreitungen nach der Wahl zum Ausbruch gelangt. Dennoch sei Alijew als Sieger der Wahl nicht anzuzweifeln, wohl aber die erreichte Mehrheit von fast 77 Prozent.
Zum Nachweis eindeutiger Fortschritte bei der Erfüllung seiner Verpflichtungen als Mitgliedstaat des Europarats soll Aserbaidschans noch eine halbjährige Frist erhalten. Vor allem deshalb, weil der neu gewählte Präsident als ehemaliger Vorsitzender der aserbaidschanischen Delegation in Straßburg mit den Verpflichtungen vertraut ist und nicht automatisch für das Regimes seines Vaters haftbar gemacht werden soll. Insbesondere verlangen die Abgeordneten aus den Parlamenten der 45 Europaratsstaaten, dass zwei parlamentarische Untersuchungsausschüsse eingesetzt werden, um den Mängeln bei den Wahlen und den Menschenrechtsverletzungen nachzugehen, die während der Wahlen und danach stattfanden. Gefordert wird die umgehende Freilassung der Anhänger und Führer von Oppositionsparteien, die nach den Wahlen in Haft genommen wurden. Andernfalls müsse es eine schnelle und faire Gerichtsverhandlungen geben. Ebenso müsse in allen Fällen von Misshandlungen und Folterungen ermittelt werden.
Angemahnt wurden zusätzlich stärkere Bemühungen, den Konflikt mit Armenien um die Enklave Nagorny-Karabach zu entschärfen oder beizulegen. Bei der Aufnahme ihrer Länder Anfang 2001 verpflichtete sich sowohl der aserbeidschanische als auch der armenische Präsident schriftlich gegenüber dem Europarat zu einer friedlichen Lösung des Konflikts. Auch sei das Schicksal der Flüchtlinge zu verbessern, die nun seit einem Jahrzehnt zu Zehntausenden in einfachsten Zeltlagern oder Lehmhütten vegetieren müssen. Sichergestellt werden soll, dass die Medien frei und unbehindert arbeiten können und ebenso wie NGOs und politisch engagierte Bürger und deren Angehörige vor Einschüchterungen durch die Behörden geschützt werden. Sollten bei diesen Forderungen bis Juni keine Fortschritte erkennbar sein, wird der aserbaidschanischen Parlamentsdelegation beim Europarat der Ausschluss angedroht.