Neue Ausgabe der Zeitschrift für Parlamentsfragen (ZParl)
Im ersten Anlauf ist es im Dezember 2003 nicht gelungen, unter den Regierungen der alten und neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Kommission Konsens über den Entwurf des Verfassungskonvents herbeizuführen. Da ist es nur ein geringer Trost, dass sich die Entscheidungssituation in der EU der 25 etwas weniger dramatisch als befürchtet - jedenfalls in der Summe - darstellt. Die Wahrscheinlichkeit chaotischer Entscheidungen im Ministerrat nimmt ab, das Potenzial für Entscheidungsblockaden steigt allerdings weiter. Dies, so arbeiten Michael Dobbins, Dietrich Drüner und Gerald Schneider auf der Grundlage räumlicher Präferenzmodelle heraus, erlaubt keine günstige Prognose für die Reformfähigkeit. Sie warnen: Die EU muss das Korsett der in Nizza beschlossenen Abstimmungsregeln ablegen, sonst droht ihr der Stillstand.
Mit einem anderen vielbeachteten Defizit der europäischen Integration setzt sich Marion G. Müller auseinander: der mangelnden kommunikativen Verbindung zwischen den Institutionen und den Bürgern der EU. Sie plädiert für die Einführung der Eidespflicht für Abgeordnete des Europäischen Parlaments, da sie darin einen Akt der symbolischen Kommunikation sieht, der integrative Funktion nach innen wie nach außen und damit auch Legitimitätswirkung entfalten könnte.
Veränderungen sind aber nicht nur auf der Ebene der EU-Institutionen nötig. Insbesondere die nationalen Parlamente sind gefordert, einen Beitrag zur demokratischen Legitimität Europas zu leisten. Am Beispiel des Bundestages untersucht Annette Elisabeth Töller vier Dimensionen der Europäisierung: legislative, institutionelle, strategische und "europäisierte". Zwar kann sie entgegen manch pessimistischem Urteil, dass Parlamente keine relevanten Akteure im europäischen Mehrebenensystem werden könnten, feststellen, dass schon "viele auf vielen Ebenen irgendwie mitmischen"; dies genügt aber nicht den Transparenz- und Effizienzanforderungen demokratischer Politik.
Das institutionelle "Mitmischen" des Bundestages und seiner Mitglieder präzisiert der Beitrag von Michael Fuchs. Er zeichnet nach, welche Versuche seit 1961 unternommen wurden, die europapolitische Willensbildung im Parlament vorzubereiten und die Regierung diesbezüglich zu kontrollieren. Der seit zehn Jahren existierende Ausschuss für EU-Angelegenheiten stellt in mehrfacher Hinsicht eine Besonderheit unter den Bundestagsorganen dar, hat an Einfluss gewonnen und war Vorbild für die Einrichtung entsprechender Gremien in manchen EU-Beitrittsländern.
Auch eine andere neue Aufgabe, die Umsteuerung zu "nachhaltiger Entwicklung", könnte durch die Etablierung von Querschnitts-Parlamentsausschüssen in Angriff genommen werden. Edgar Göll dokumentiert die Praxis in sieben EU-Ländern. Bisher haben sich die Exekutiven entschieden besser auf die Anforderungen von Nachhaltigkeitspolitik eingestellt als die Parlamente. Göll wägt verschiedene institutionelle Varianten und flankierende Maßnahmen ab, mit denen es dem Bundestag gelingen könnte, Nachhaltigkeit parlamentarisch zu repräsentieren. Er präferiert einen "Zukunftsausschuss"; eingerichtet wurde vom Bundestag aber zunächst nur ein "Beirat für nachhaltige Entwicklung".
Ein anderer Aspekt des bundesdeutschen Regierungssystems, die Optionen für Koalitionsbildungen, wird aus Nicole Bolleyers Vergleich kleiner Parteien in Irland und Dänemark erhellt: Wie lösen kleine Parteien die Zielkonflikte bei dem Bemühen, Stimmen zu maximieren, Politik inhaltlich zu gestalten und sich an der Regierung zu beteiligen? Anders als große Parteien müssen sie stets Kosten und Nutzen abwägen zwischen dem Verbleib in der Opposition und der notwendig untergeordneten Rolle in einer Regierungskoalition, denn sie werden von Stimmenverlusten möglicherweise existenziell getroffen und müssen deshalb ihre in der Regel spezialisierteren Policy-Positionen so gut und so öffentlichkeitswirksam wie möglich umsetzen.
Die in diesem Herbst anstehenden Kongress- und Präsidentenwahlen in den USA werden auch ein Test darauf sein, ob ungeteilte Regierungsmacht - wie sie seit 2002 mit einem republikanischen Präsidenten und einer entsprechenden Kongressmehrheit besteht - von den amerikanischen Wählern wie in den Jahrzehnten zuvor eher abgelehnt wird, und ob die 2002 ausnahmsweise geltende Dominanz von Außenpolitik und Terrorismusbekämpfung wieder genuin innenpolitischen Themen weicht. Offen ist auch, ob sich der Eintritt der USA in die "post-electoral politics", den Peter Filzmaier und Fritz Plasser in ihrer Analyse der Kongresswahlen von 2002 diagnostizieren, bestätigen wird. Danach ist ein mittlerweile deutlich eingeschränkter politischer Wettbewerb zu verzeichnen, weil, erstens, der Bonus für wieder kandidierende Abgeordnete und Senatoren enorm hoch ist und, zweitens, kontinuierlich anwachsende Abstände im Wahlergebnis zu einer weiteren Verringerung der Zahl der Kandidaten beziehungsweise der Herausforderer führen.
Einem wichtigen Thema auf der Nachfrageseite bei Wahlen geht Harald Schoen nach. Er untersucht, ob Wechselwähler in den USA, in Großbritannien und Deutschland eine besonders gut informierte "Wählerelite" darstellen oder für populistische Versprechen offene, "politische Analphabeten" sind - eine umso brisantere Frage, je wahlentscheidender diese Gruppe wird. Schoens Befund: Praktisch unterscheiden sich parteitreue und wechselhaft wählende Bürger nicht in ihrer politischen Kompetenz. Wechselwähler sind weder Hoffnungsträger noch Gefahr für eine anspruchsvolle politische Debatte.
In der gegenwärtigen Diskussion um die Reform des deutschen Föderalismus steht auch der Bundesrat auf dem Prüfstand. Will man dabei aus Beispielen anderer Länder lernen, fällt schnell auf, dass Studien über Zweite Kammern Mangelware sind, obwohl fast zwei Drittel der stabilen Demokratien weltweit über Zweikammerparlamente verfügen. Dabei bleibt vor allem der Bikameralismus in präsidentiellen Regierungssystemen - mit Ausnahme der USA - weitgehend unberücksichtigt. Mariana Llanos und Detlef Nolte benutzen Arend Lijpharts Index zur Messung der Stärke Zweiter Kammern für die Analyse der neun lateinamerikanischen Fälle. Nach Verfassungslage sind die meisten von ihnen ähnlich stark wie der US-Senat. Dass für ein realitätsgerechtes Bild erst zahlreiche weitere Variablen der Verfassungspraxis berücksichtigt werden müssen, betonen die Autoren. Und dass selbst dann ein einhelliges Urteil nicht gesichert ist, zeigt Adolf Kimmels Replik auf Romy Messerschmidts Beitrag zum Wandel des französischen Präsidentenamts in Heft 2/2003 der Zeitschrift für Parlamentsfragen (ZParl).