Interview mit Wolfram Weimer, Chefredakteur vom neuen Debattenmagazin "Cicero"
Das Parlament: Herr Weimer. Was ist "Cicero"?
Weimer: "Cicero" ist das erste politische Monatsmagazin in Deutschland, das erste politische Magazin aus der Hauptstadt Berlin. Ein Reflektorium nach angelsächsischem Vorbild. Ein Magazin von der Art, wie es sie mit "Atlantic Monthly", "The Spectator" oder "Nouvelle Observateur" in Amerika, in England und in Frankreich gibt. Dieses Genre versuchen wir in Deutschland zu etablieren.
Das Parlament: Alle reden von der Medienkrise, braucht man da nicht sehr viel Mut, mit einem neuen Projekt auf den Markt zu kommen?
Weimer: Krisen sind wahrscheinlich die besten Zeiten, um etwas Neues zu beginnen. Die Medienkrise wird dazu führen, dass es Innovationen gibt, dass es Wagnisse gibt, die den Markt politischer Zeitschriften bereichern. Viele Verlage antworten auf die Medienkrise mit Boulevard und Nutzwert, wir antworten darauf mit dem Gegenteil, mit Salon und Denkwert. Das Bedürfnis nach Qualität im Journalismus wird in der Krise größer und nicht kleiner.
Das Parlament: Ist Qualitätsjournalismus überhaupt noch gefragt?
Weimer: Die Konjunkturkrise ist nicht das Ende des Qualitätsjournalismus. Im Gegenteil führt diese dazu, dass man sich wieder viel schärfer darauf konzentriert, was echte Qualität ist. "Die Zeit" steigert ihre Auflage, "Atlantic Monthly" erreicht in den USA Rekordauflagen. Es gibt eine Spreizung des Marktes. Die Boulevard-Medien halten sich recht gut, die wirklich auf Qualität konzentrierten Substanzmedien auch. Das Problem liegt im Mittelfeld. Wir konzentrieren uns mit "Cicero" auf die Bildungselite.
Das Parlament: Sie wollen zu dem politischen Magazin der Berliner Republik werden. Journalistisch steht die Berliner Republik jedoch für etwas anders, für Tempo, für Skandalisierung und für flache politische Talkshow. Wie wollen Sie diesem Trend etwas entgegen setzen?
Weimer: Solche Trends sind wie Gezeiten, sie kommen und sie gehen. Jeder übertriebene Trend verkehrt sich in sein Gegenteil. Es gibt einen Pendelschlag zurück zum Substanziellen, zurück zum Originären. Ein Retro-Trend nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch im Journalismus. Dem werden wir Rechnung tragen. Wenn es anders wäre, hieße dies ja, Big-Brother und Dschungel-Show wären die Perspektive auch des politischen Journalismus. Das glaube ich nicht. Eine bürgerliche Elite, eine politische Elite schafft sich Foren, die sie braucht. Foren der Selbstvergewisserung ihrer eigenen Identität.
Das Parlament: Magazine, die in den letzten Jahren erfolgreich waren, funktionieren nach dem Häppchenprinzip. Auch "Der Spiegel" hat sich diesem Trend angepasst. Politische Wochenzeitungen wie "Die Woche" wurden eingestellt, weil sie nicht genug Leser fanden, die Berliner Seiten der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ließen sich nicht länger finanzieren. Überregionale Tageszeitungen kämpfen ums Überleben, weil Anzeigen ausbleiben. Gibt es überhaupt Bedarf für anspruchsvollen politischen Journalismus, für Debatte und Reflexion?
Weimer: Wer heute noch auf Häppchen-Journalismus oder Boulevardisierung setzt, macht einen großen Fehler. Jede Zeit gebiert ihre Medien. Die 80er-Jahre waren ein äußerliches Jahrzehnt. Reise-, Wellness und Design-Magazine setzten erfolgreich auf gesellschaftliche Strömungen. In den 90er-Jahren war Nutzwert angesagt. "Focus", Börsenmagazine, "Financial Times" waren die großen Neugründungen. Jetzt beginnt die neue Ernsthaftigkeit.
Das Parlament: Was ist die neue Zeit, die neue Ernsthaftigkeit?
Weimer: Die Spaßgesellschaft ist Vergangenheit, auch in der Politik. Der Kanzler lässt sich nicht mehr mit Cohiba fotografieren. Guido Westerwelle geht nicht mehr in den Big-Brother-Container, noch fährt Angela Merkel im Käfer-Cabriolet umher. Es hat ein deutlicher Wandel im politischen Empfinden stattgefunden. Das spiegelt sich auch im Journalismus wider. Wir reden über ernste Themen, über Terrorismus, über Krieg, über Weltwirtschaftskrise. Wir debattieren über Dinge, die vor fünf Jahren undenkbar gewesen sind. Es gibt ein Comeback des Politischen. Wir hatten ein sehr stark ökonomistisch geprägtes Jahrzehnt, jetzt wird der politische Diskurs in den Mittelpunkt rücken. Das Bedürfnis nach ernster Behandlung statt oberflächlicher Verquatschung ist da, dem wollen wir folgen.
Das Parlament: Also ist "Cicero" eine Antwort auf die Talkshow-Politik?
Weimer: Wenn man so will, wird "Cicero" das Gegenteil davon. Wir setzen bewusst auf das gedruckte Wort, auf den ernsten Gedanken. Wir setzen bewusst auf den Autorentext. Wir gehen damit den entgegengesetzten Weg zur Vertalkshowung des öffentlichen Diskurses.
Das Parlament: Seit den 80er-Jahren sind die großen gesellschaftlichen Debatten verflacht. Wo sind die grundlegend unterschiedlichen Konzepte, über die sich streiten ließe? Lässt sich dies mit einer Zeitschrift wieder beleben?
Weimer: Das Gegenteil ist der Fall. Deutschland steckt in einer tiefen mentalen Krise, in einer schweren Phase der Selbstfindung, in solchen Phasen der Selbstvergewisserung ist das Bedürfnis nach Orientierung größer als in Phasen der allgemeinen Happyness. Insofern werden die politischen Debatten sehr viel heftiger geführt und sehr viel ernster. Wenn man sieht, was bei Wahlen passiert, welche Wählerwanderungen es gibt, in welche Schwierigkeiten die rot-grüne Bundesregierung gekommen ist, wie heftig die Verteilungs- und Reformkonflikte ausgetragen werden. Dann glaube ich, die politische Debatte ist zurück und trägt ernsthaft zur politischen Willensbildung bei.
Das Parlament: Viele Leute sagen, debattiert worden ist genug, alles wurde rauf und runter diskutiert. Politik muss endlich handeln, dabei muss sie unterstützt werden. Gibt es nicht ein Defizit an politischer Umsetzung?
Weimer: Das mag sein, aber das ist nicht die Aufgabe des Journalismus. Wir sind Menschen des Diskurses, Menschen der Idee. Unsere Funktion ist eine andere. Im Übrigen fordern immer neue Konstellationen, immer neue Herausforderungen, immer neue Debatten.
Das Parlament: Aber in der Politik geht es doch nicht um die großen Entwürfe, um politische Richtungsentscheidungen. Da wird um Prozente gefeilscht, um Nebensätze gerungen, und Reformen werden zugunsten parteitaktischer Kompromisse geopfert.
Weimer: Das sehe ich nicht so. Hinter allen diesen Fragen stehen sehr ernste politische Auseinandersetzungen. Ich teile auch nicht die Analyse, dass unsere Politik schlechter geworden ist. Die Diskreditierung des Politischen ist eine Ablenkung von Problemen, die wir in anderen Teilen der Gesellschaft haben. Unsere Wirtschaftseliten haben in vielerlei Hinsicht versagt, unsere bürgerliche Gesellschaft ist in mancher Hinsicht feige. Oft ist die Politik nur das Schutzschild, auf das man alles projizieren kann. Unsere Politik ist nicht so schlecht, wie es im öffentliche Diskurs erscheint.
Das Parlament: Haben die Medien zu dem beigetragen, was Sie die Diskreditierung des Politischen nennen?
Weimer: Nein, die Medien sind daran unschuldig. Die Politik ist immer nur so gut, wie es die Gesellschaft erlaubt. Die Bürgergesellschaft entlädt sich gerne ihrer Verantwortung, indem sie fehlende Aktion und die eigene Verunsicherung auf das Politische projiziert. Aber die Gesellschaft ist stark in Bewegung geraten. Sie steht an einer Bruchstelle ihrer Geschichte.
Das Parlament: Was sind die Themen, über die diskutiert werden muss, welches sind die großen Debatten, an denen diese Bruchstelle erkennbar wird?
Weimer: Die eine zentrale Linie ist die der Ordnungspolitik. Da geht es: Freiheit gegen Staat. Wie viel Freiheit will sich diese Gesellschaft leisten, wie viel soziale Verantwortlichkeit, wie viel Kontrolle. Die andere große Bruchlinie ist die der kulturellen Identität. Welche Rolle spielt zukünftig Religion, welche Zukunft hat die Nation. Wie stellen wir uns zur islamistischen Herausforderung. Das sind die beiden Bruchstellen, an denen sich große gesellschaftliche Debatten in den kommenden Jahren ausrichten.
Das Parlament: Sind dies auch die Fragen, bei denen Sie publizistische Maßstäbe setzen wollen?
Weimer: Wir haben keinen missionarischen Eifer. "Cicero" ist ein Autorenmagazin. Wir sind eine nicht-schreibende Redaktion und laden Autoren aller Denkrichtungen und Parteien zur offenen Debatte ein. Wir sind ein gedruckter Salon der politischen Auseinandersetzung.
Das Parlament: Trotzdem braucht eine Zeitungsredaktion doch eine Grundphilosophie, einen eigenen Standpunkt...
Weimer: Wir sind ausdrücklich kein Blatt des politischen Richtungsjournalismus. Wir heißen nicht zufällig "Cicero". Marcus Tullius Cicero war der Urvater der politischen Debatte, der auch die andere Meinung geschätzt und gefördert hat. Er war einer der Vordenker der res publica gegen die Entartung der Macht. Insofern sind wir im besten Sinne ein liberales Debattenblatt.
Das Parlament: Gibt es überhaupt eine republikanische Debattentradition in Deutschland?
Weimer: Diese Art von Magazin begründet eine Tradition wieder. In den 20er-Jahren gab es diese sehr intensiv. Da erschienen Zeitschriften wie "Hochland", "Fackel" und "Weltbühne". Die Nazis haben diese Kultur vernichtet. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat nur Enzensberger in den 80er-Jahren mit der Zeitschrift "Transatlantik" versucht, die Tradition wiederzubeleben. Dieser Versuch war sehr literarisch geprägt. Wir starten jetzt mit einem eindeutig journalistischen Ansatz, mit einer Zeitschrift, die vom Interview, über die Reportage oder den Essay bis zur kurzen Glosse, alle journalistischen Genre bietet.
Das Parlament: Aber ihre unmittelbaren Vorbilder erscheinen im Ausland, das heißt diese Tradition kehrt auf Umwegen nach Berlin zurück?
Weimer: Vieles dieser Debattenkultur hat in Deutschland in Tages- und Wochenzeitungen weiter gelebt, mehr als in Ländern im angelsächsischen Raum. Nur, die Zeitungen sind durch die Strukturkrise derart in Bedrängnis geraten, dass damit der Raum für neue Formate offen wird. Wenn "Die Woche" schließen muss, große Tageszeitungen Redakteure entlassen müssen, Seiten einsparen müssen, ihre Bühnen verkleinern, dann heißt dies nicht, dass die Nachfrage geringer geworden ist. Also wird die Lücke auf dem Markt für Magazine wie "Cicero" größer. Was für die einen Krise ist, ist für die anderen Chance.
Das Interview führte Christoph Seils.