Die vielfältigen neuen Aufgaben fordern einen Strukturwandel der Bundeswehr
Markanter Ausdruck dessen waren die Balkan-kriege in den 90er-Jahren, der 11. September 2001, der Afghanistan- und der Irak-Krieg, um die Wichtigsten zu nennen.
Die Konsequenz, die der Verteidigungsminister daraus gezogen hat, heißt: Verteidigung lässt sich nicht mehr geographisch eingrenzen. Verteidigung, wie es in den Verteidigungspolitischen Richtlinien vom 21. Mai 2003 heißt, umfasst "mehr als die herkömmliche Verteidigung an den Landesgrenzen gegen einen konventionellen Angriff. Sie schließt die Verhütung von Konflikten und Krisen, die gemeinsame Bewältigung von Krisen und die Krisennachsorge ein." Die Streitkräfte müssen sich daher einer Vielfalt an politischen, ökologischen, sozialen, militärischen, diplomatischen und polizeilichen Handlungsoptionen stellen können.
Seit Beginn der 90er-Jahre beteiligt sich die Bundeswehr zunehmend an Auslandseinsätzen, sei es im Rahmen der UNO, der NATO, der EU oder auch der OSZE. Ein Einsatz gegen den Terrorismus wie in Afghanistan erfordert eine andere operative Streitkräfteplanung als die Mithilfe am Wiederaufbau in Bosnien. Dem muss sich die Bundeswehr, genauso wie die NATO oder EU, stellen.
Im Rahmen der NATO hat Deutschland zugesagt, als eigenen Anteil zur NATO Response Force (NRF) ständig etwa 5.000 Soldaten einsatzbereit zu halten. Das bindet, Vor- und Nachbereitung sowie Bereitschaft einberechnet, etwa 15.000 Soldaten. Im Rahmen des European Headline Goal hat Deutschland sich in der Europäischen Union bereit erklärt, ein erstes Kontingent mit 18.000 Soldaten für Kriseneinsätze zur Verfügung zu stellen. Evakuierungseinsätze will Deutschland auch in nationaler Verantwortung realisieren können, wofür auch 1.000 Soldaten benötigt werden. Im Rahmen der UNO beteiligt sich Deutschland mit Transport-, Sanitäts-, Feldjäger- und Pionierkräften, mit Seefernaufklärern für Überwachungsaufgaben und mit Minenabwehreinheiten. Insgesamt sind bis zu 1.000 Soldatinnen und Soldaten bereit zu halten.
Diese nationalen und internationalen Verpflichtungen lassen die Notwendigkeit einer Umstrukturierung der Streitkräfte erkennen. Die Teilstreitkräfte Heer, Marine und Luftwaffe werden nicht aufgelöst, sondern deren bisherige Strukturen verändert. Gegliedert wird die Bundeswehr dazu in:
Durch diese Umstrukturierung der Streitkräfte erhofft sich die Bundeswehrführung ein uneingeschränkt bundeswehrgemeinsames Denken und Handeln. Im Vordergrund sollen nicht die Fähigkeiten einzelner Organisationsbereiche stehen, sondern die Fähigkeiten der Bundeswehr als Ganzes. Das soll in einer Effizienzsteigerung münden, da nicht wie bisher verschiedene Truppenkontingente aus Heer, Marine und Luftwaffe einsatzbezogen aufgestellt werden müssen, sondern bestehende teilstreitkräfteübergreifende Truppenteile geschlossen eingesetzt werden können.
Die herkömmliche Landesverteidigung gegen einen konventionellen Angriff, so der Verteidigungsminister, entspricht nicht mehr den aktuellen sicherheitspolitischen Erfordernissen. Dennoch muss die Bundeswehr zum Wiederaufbau einer Landesverteidigung gegen einen Angriff mit konventionellen Streitkräften in der Lage sein. Denn, so heißt es in dem von der Regierungskoalition am Donnerstag vorgelegten Antrag: "Der Schutz Deutschlands und seiner Bürgerinnen und Bürger bleibt eine wichtige Aufgabe staatlicher Sicherheitsvorsorge."
Hier geht die CDU/CSU-Fraktion weiter. Sie fordert einen "nationalen Heimatschutz" und den Einsatz der Bundeswehr im Innern, über den Katastrophenschutz und die Terrorismusabwehr hinausgehend: "Die Bundeswehr muss Aufgaben jenseits der Kriminalitätsbe-kämpfung und polizeilichen Gefahrenabwehr im Inland optimal wahrnehmen können." Was durch den Antrag zur Änderung des Grundgesetzes, der dem Bundesrat vorliegt, möglich gemacht werden soll.
Die Differenzierung der Streitkräfte muss einhergehen mit einer technologischen Anpassung. Kräfte für friedenserzwingende Einsätze unterscheiden sich in ihren Leistungsmerkmalen erheblich von denen für friedenserhaltende Einsätze. Friedenserzwingende Einsatzkräfte müssen in der Lage sein, einen raschen Erfolg gegen einen militärisch organisierten Gegner bei geringen eigenen Verlusten zu erzielen. Sie schaffen die Voraussetzungen für friedenserhaltende Operationen der Stabilisierungskräfte, die sich gegen einen zumeist militärisch gut organisierten, jedoch asymmetrisch operierenden Gegner durchsetzen müssen. Sie sollen Konfliktparteien trennen und Waffenstillstandsvereinbarungen überwachen können, die Bevölkerung schützen, staatliche Autorität und öffentliche Infrastruktur wiederherstellen und müssen in der Lage sein, örtliche, wenn auch begrenzte Angriffe abzuwehren. All dem muss die Ausrüstung der Bundeswehr Rechnung tragen.
Diese Transformation erfordert die Weiterentwick-lung von Waffensystemen in den Teilstreitkräften. Das heißt, wegzukommen von dem bisherigen Muster, dass auf Panzer A der modernere Panzer B folgt, auf Fregatte A die größere Fregatte B und auf Jagdflieger A der schnellere Jagdflieger B. Vielmehr muss innerhalb der Teilstreitkräfte und im Verbund zwischen ihnen über die Fähigkeiten nachgedacht werden, die innerhalb der neuen Strukturen zu erfüllen sind. Danach ist die Ausrüstung anzupassen.
Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Wolfgang Schneiderhan, versuchte den Umstand wie folgt zu beschreiben: "Heer und Marine der Bundeswehr verbindet tiefer Respekt. Wird das reichen, wenn man die in der Marine vorhandenen Führungsmöglichkeiten und Aufklärungsfähigkeiten im Verbund besser nutzen will und muss, um für die Marine zum Beispiel die hervorragende Waffenwirkung der Heeresartillerie auszunutzen? Warum bei U-Booten auf dem Filmniveau von 'Das Boot' stehen bleiben? Werden wir die Aufklärungsfähigkeit dieses Systems für alle nutzbar machen können?"
Verteidigungsminister Peter Struck will an der Wehrpflicht festhalten. Auch die CDU/CSU bekennt sich dazu. Die FDP allerdings ist der Meinung, dass die Wehrpflicht "einen so tiefen Eingriff in die individuelle Freiheit der jungen Bürger dar(stelle), dass sie von einem demokratischen Rechtsstaat nur dann abgefordert werden kann und darf, wenn es die äußere Sicherheit des Staates wirklich gebietet." Während die Liberalen nur die Aussetzung der Wehrpflicht fordern, wollen die Grünen sie ganz abschaffen.
Im Weizsäcker-Bericht aus dem Jahre 2000 heißt es: "Die Kommission empfiehlt, die Wehrpflicht zu erhalten. (...) Ihre Empfehlung zur Wehrform beruht auf Prüfungen der staatsbürgerlichen, verfassungsrechtlichen und sicherheitspolitischen Voraussetzungen. Angesichts andauernder äußerer Ungewissheiten sollte die Struktur der Streitkräfte flexibel ausgelegt sein und über Aufwuchspotential und Regenerationsfähigkeit verfügen."
Eine traditionelle Landes- und Bündnisverteidigung ist auf die Mobilisierungsfähigkeit gestützt. Aber eine territoriale Invasion Deutschlands und selbst eines Bündnismitgliedes von außen ist eher unwahrscheinlich geworden. Fragt sich also, ob die Wehrpflicht trotz Strukturveränderung beibehalten werden sollte. Zumal man für Auslandseinsätze Wehrpflichtige nur auf Freiwilligenbasis einsetzen kann. Daher bemühen Kritiker der Wehrpflicht das Argument, dass eine Berufsarmee, die sich nicht mit der Ausbildung von Grundwehrdienstleistenden befassen müsse, besser für die neuen Aufgaben der Bundeswehr geeignet wäre. Allerdings beteiligen sich freiwillige Wehrdienstleistende an Auslandseinsätzen; circa 22,9 Prozent im Kosovo und 7,1 Prozent in Afghanistan.
Ein Hauptargument für die Wehrpflicht ist, dass die Bundweswehr gut 49 Prozent des Nachwuchses der Unteroffiziere und Offiziere aus den Wehrdienstleistenden rekrutiert, die sich während des Dienstes länger verpflichten oder dazu entscheiden. Die andere Hälfte bezieht die Bundeswehr aus der regulären Anwerbung. Die Abschaffung der Wehrpflicht hätte vermutlich also eine Verkleinerung der Bundeswehr zur Folge. Dem Argument, dass man mit einer Berufsarmee Bewerber anziehen könnte, die im zivilen Arbeitsmarkt keine Chance haben, wirkt die Bundeswehr durch strenge Auswahl und Weiterqualifizierung entgegen.
Eine Frage, die von Gegnern der Wehrpflicht immer wieder gestellt wird, ist, ob die Wehrpflicht der Bundeswehr zusätzlich Kosten verursacht. Direkt stehen die im Vergleich zu den Berufssoldaten geringeren Personalkosten der Wehrdienstleistenden den Aufwendungen für die Ausbildung der Wehrdienstleistungen gegenüber. Derzeit sind das etwa 30.000 und Soldaten, die nicht für Einsätze zur Verfügung stehen. Allerdings müsste die Bundeswehr, wenn sie ihren Nachwuchs nicht mehr durch die Wehrpflichtigen aufgebessert, mit höheren Sold und mit Prämien Anreize für die Anwerbung schaffen.
Die Wehrpflicht verbindet Armee und Gesellschaft. Sie war eine Reaktion auf die Erfahrung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als das von der Gesellschaft losgelöste Berufsmilitär zu einer Bedrohung für die Demokratie wurde. In unserer heutigen Gesellschaft mag dies vermutlich nur noch eine sehr geringere Bedeutung haben, sollte aber in der Diskussion über die Wehrpflicht aber nicht völlig vergessen werden.
Das Bundesverfassungsgericht hatte im Jahr 2002 bestätigt, dass die Wehrpflicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Bei einem geringer werdenden Anteil der Wehrpflichtigen kann aber die Wehrgerechtigkeit nur schwer aufrechterhalten werden. Dem ist entgegenzuhalten, dass sich aus dem Wehrdienst nicht nur Nachteile ergeben. Rekruten können beispielsweise zusätzliche berufliche Qualifikation im Grundwehrdienst erwerben, die anderen Jugendlichen entgehen.
Unlösbar mit der Wehrpflicht ist der Zivildienst verbunden. Die Zivildienstleistenden - im Jahr 2003 sind bislang nur noch 110.000 geplant - bilden eine Armee von billigen Arbeitskräften im sozialen Bereich sowie bei der medizinischen Versorgung. Gegner der Wehr-pflicht haben kaum Rezepte anzubieten, wie der Wegfall der Zivildienstleistenden aufgefangen werden kann.
Ein Ersetzen durch reguläre Arbeitskräfte dürfte viele soziale Einrichtungen überfordern. Die Einführung einer allgemeinen zivilen Dienstpflicht für alle jungen Menschen, wie vom stellvertretenden CDU-Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz ins Gespräch gebracht, wird vermutlich keinen Konsens in der Gesellschaft finden. Die Abschaffung der Wehrpflicht aber könnte zu einer erheblichen Kostenanhebung im Gesundheitssystem führen.
Experten sind sich einig, dass die Wehrpflicht auf Dauer nicht haltbar sein wird. Sollte, wie Verteidigungsminister Struck angekündigt hat, Ende des Jahres die Entscheidung gegen die Wehrpflicht ausfallen, ergeben sich daraus Folgen für die Struktur der Bundeswehr. Die derzeitige Strukturreform ist so ausgelegt, dass eine andere Wehrverfassung nicht eine völlig neue Reform der Bundeswehr verlangt.
Aber während in den mitteleuropäischen Staaten - vor kurzem hat sich gerade Ungarn für die Abschaffung der Wehrpflicht entschieden - immer mehr Berufsarmeen entstehen, existieren in den skandinavischen Ländern Wehrpflichtsysteme, von denen die Bundeswehr positive Ansätze übernehmen könnte.
Der Grundwehrdienst von neun Monaten wird den geänderten Aufgaben der Bundeswehr angepasst. Bis zum Jahr 2010 soll die Bundeswehr einen militärischen Umfang von 250.000 Soldaten erreichen.
Auch im zivilen Bereich will das Verteidigungsministerium die bisherigen Stellen reduzieren. Es soll einen Abbau von 10.000 Haushaltsstellen im zivilen Bereich geben. Aber, wie aus dem Haus zu hören ist, sollen die Stellen nicht einfach gekappt werden, sondern nach einer Aufgabenanalyse sollen die Struktur im zivilen Bereich verändert und danach der Stellenbedarf errechnet werden. Die Stellenkürzungen bei den Zivilbeschäftigten, versichert das Verteidigungsministerium, werden die tarifrechtlichen Vereinbarungen nicht außer Acht lassen. Die Kostenreduzierungen im Personalbereich sollen künftigen Investitionen zugute kommen.
Die Veränderungen in der Struktur der Bundeswehr sowie die Personalreduzierungen wirken sich natürlich auf die Standortplanung aus. Derzeit verfügt die Bundeswehr über 621 Standorte. Im Jahre 2001 ist bereits entschieden worden, diese auf 505 zu reduzieren. Angekündigt hat Verteidigungsminister Struck nunmehr, bis zum Jahresende 2004 weitere 100 Standort zu schließen. Welche dies sein werden, entscheiden militärische und betriebswirtschaftliche Kriterien.