Landtagswahl in Thüringen
Vor fünf Jahren hatte die CDU unter Ministerpräsident Bernhard Vogel 51 Prozent der Stimmen errungen. Die Demoskopen hatten seinem Nachfolger Althaus vorausgesagt, dass er höchstens mit 45 Prozent der Stimmen rechnen könne und wohl einen Koalitionspartner brauche. Da die Demoskopen gleichzeitig den Grünen einen Sprung in das 88-köpfige Parlament in Erfurt zutrauten, wurde bundesweit kräftig über eine erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene spekuliert - obwohl Althaus-Herausforderer Christoph Matschie (SPD) sich eindeutig für eine Große Koalition ausgesprochen hatte.
Doch schließlich sollte alles anders kommen: Bei einer Wahlbeteiligung von lediglich 54 Prozent (1990 hatte sie noch bei 71,8 und 1994 bei 74,8 Prozent gelegen) der Stimmen sackte die CDU auf 43 Prozent ab, verlor vier ihrer bisherigen Mandate und kann künftig mit 45 Sitzen doch allein weiter regieren. Der Grund liegt vor allem darin, dass die Grünen (denen 7.161 Stimmen für das Überspringen der Fünf-Prozent-Hürde fehlten) und die FDP nicht den Sprung in den Landtag schafften.
Und aus dem Herausforderer Matschie, seit 1990 Bundestagsabeordnetern und seit 2002 Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesbildungsministerin, wurde der große Verlierer. Er konnte weder die absolute Mehrheit der CDU brechen, noch die PDS vom zweiten Platz verdrängen, sondern musste sich mit 14,5 Prozent der Stimmen zufrieden geben, was 15 Sitzen im Landtag entspricht (drei weniger als bislang bei 18,5 Prozent der Stimmen bei der Landtagswahl 1999).
Nun steht Matschie im Kreuzfeuer der Kritik. Vor allem deshalb, weil er vor der Wahl glaubhaft eine Koalition mit der PDS ausgeschlossen hatte - die nun die große Wahlsiegerin ist. Denn die PDS unter ihrem alten und wohl auch neuen Fraktionsvorsitzenden Bodo Ramelow - der sich nicht als Kommunist, sondern als christlicher Sozialist versteht - konnte den Stimmenanteil der Linkssozialisten kräftig steigern - um 4,8 auf nunmehr 26,1 Prozent. Diese bedeuten 28 Sitze im Erfurter Landtag, sieben mehr als bislang.
Geschickt hatte Ramelow der SPD vor der Wahl angeboten, auch als stärkste Fraktion nicht unbedingt auf dem Ministerpräsidentenamt zu bestehen. Doch Matschie ließ sich nicht beirren. Nun soll er vor allem an dem hohen Stimmenzuwachs für die PDS und an dem schlechten Abschneiden der SPD schuld sein. Behauptet nicht nur Matschie-Vorgänger Richard Dewes, der 1999 als Spitzenkandidat die damals bereits blamablen 18,5 Prozent "eingefahren" hatte. Gegen Matschies Willen wurde als erstes der Landesgeschäftsführer beurlaubt.
Christoph Matschie wird sein Landtagsmandat annehmen, den Staatssekretärsposten in Berlin aufgeben und aus dem Deutschen Bundestag ausscheiden. Der Politiker, der im Wahlkampf immer wieder betonte, in Erfurt zu bleiben, soll Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion werden. Eine Entscheidung über den Landesvorsitz, den Matschie innehat, wird die SPD auf einem Sonderparteitag fällen.
Mit Matschies Wechsel auf den Posten des Oppositionsführers in Erfurt wird die Regierungskoalition von SPD und Grünen im Bund zwar ein Mandat verlieren und die Zahl ihrer Abgeordneten von heute 305 auf 304 schrumpfen. Doch da gleichzeitig auch die Zahl der Abgeordneten im Bundestag insgesamt von 602 auf 601 zurückgeht, sinkt rechnerisch auch die Quote für die absolute Mehrheit im Parlament. Sie liegt dann nur noch bei 301 - statt bisher 302. Und mit 304 Mandaten hätte die Koalition immer noch eine Mehrheit von drei Stimmen - so viel wie heute.
Und in einer Woche - am 27. Juni - sind die Thüringer schon wieder an die Wahlurnen gerufen. Diesmal geht es um die Kommunalparlamente. Wird die SPD erneut eine schwere Niederlage einstecken müssen, an der vom 13. Juni aus Matschies Sicht vor allem das schlechte SPD-Bild auf Bundesebene schuld war? Die PDS hat sich zum Ziel gesetzt, die Mehrheit in den Parlamenten der großen Städte zu erobern - von Erfurt über Suhl bis Gera. Die PDS-Erfolge bei der Kommunalwahl in Sachsen-Anhalt und Sachsen machen den Linkssozialisten zusätzlichen Mut.
Erstmals konnte die PDS fünf Direktmandate bei der Landtagswahl in Thüringen erringen, die SPD nicht ein einziges. So wurde also auch SPD-Spitzenkandidat Matschie über die Liste gewählt. Bei der PDS hingegen konnten Landesvorsitzender Dieter Hausold und Spitzenkandidat Bodo Ramelow sogar prominenten Christdemokraten wie beispielsweise Finanzministerin Birgit Diezel den Wahlkreis abnehmen.
Ministerpräsident Althaus, bis November gleichzeitig Präsident des Bundesrates, hat sich wie Christoph Matschie auch in dem zurückliegenden Landtagswahlkampf abgerackert wie kaum ein anderer. Das wurde nicht nur mit der erneuten Direktwahl im Wahlkreis Eichsfeld I belohnt, sondern auch mit einem Erstimmenergebnis von 62,8 Prozent. Es zeigte sich nicht nur um Eichsfeld, dass viele Thüringer bei ihrer Stimmabgabe nicht nur die Parteien, sondern auch die aufgestellten Kandidaten im Blick hatten.
Landtagspräsidentin Christine Lieberknecht (Weimarer Land II) wurde ebenso direkt in den 4. Thüringer Landtag gewählt wie die meisten Mitglieder des bisherigen Kabinetts - mit der bereits erwähnten Ausnahme von Birgit Diezel, die aber über die Landesliste abgesichert war. Wissenschaftsministerin Dagmar Schipanski, 1999 noch parteilose Kandidatin der Union für das Amt des Bundespräsidenten, rückt erstmals in den Landtag ein. Ebenfalls über die Landesliste. Sie hatte sich erst gar nicht um einen Wahlkreis bemühen müssen.
Althaus hat bereits durchblicken lassen, dass das neue Kabinett nicht das alte sein wird. Bei einer Mehrheit von einer Stimme kommt dem künftigen Fraktionsvorsitzenden eine besonders wichtige Rolle zu (ein Amt, das Althaus vor seiner Wahl zum Ministerpräsidenten innehatte). Gebraucht wird vor allem eine Persönlichkeit, die über eine große Integrationskraft verfügt. Dabei denkt man in der Fraktion nicht zuletzt an Christine Lieberknecht. Doch die frühere Staatsministerin für Bundes-und Europaangelegenheiten möchte am liebsten das Amt behalten, das sie seit 1999 inne hat, nämlich das der Landtagspräsidentin.
Der neue und alte Ministerpräsident, der sein Kabinett Mitte Juli vorstellen will, muss aufpassen, dass er niemanden in der Fraktion enttäuscht - denn er braucht bei der geheimen Abstimmung zur Wahl des Ministerpräsidenten in der Tat alle Stimmen der CDU. Die Schwerpunkte seiner Politik werden in den kommenden fünf Jahren vor allem auf den Gebieten der Familien- und Bildungs- sowie der Verkehrs- und Wirtschaftspolitik liegen.
Der thüringische Ministerpräsident gilt als "Gefolgsmann" von CDU-Chefin Angela Merkel. Das könnte ihm in absehbarer Zeit auch ein bundespolitisches Amt eintragen, zumal er das des Bundesratspräsidenten bislang geschickt für seine eigenen Ambitionen eingesetzte. Auch im Zentralkomitee der deutschen Katholiken wird ihm eine herausragende Stellung vorhergesagt. Allerdings wird Althaus wegen der knappen Mehrheitsverhältnisse öfter in Erfurt sein müssen. Und zunächst muss er in den nächsten Tagen wieder kräftig Wahlkampf machen, um das gute CDU-Ergebnis bei der Landtagswahl auch in den Städten und Gemeinden abzusichern.