Versuche, uns das Fernsehen zu verleiden
Das hat bisher noch kein Autor gewagt: Peter Winterhoff-Spurk warnt im Vorwort seines ebenso anregenden wie anspruchsvollen Buches die Leser, dass er ihre Haltung zum Fernsehen verändern will. Damit hat sich der Saarbrücker Medienpsychologie viel vorgenommen. Denn wer sich mit der Wirkung des Fernsehens beschäftigt, läuft Gefahr, die des eigenen Buches zu überschätzen.
Der Autor ist sich sicher, dass die Medien, allen voran das Fernsehen, schleichend den Sozialcharakter, also die psychischen Eigenschaften und Verhaltensweisen der Gesellschaft, verändern. Es seien kalte Herzen, die da entstehen. Damit spielt er auf die psychischen Befindlichkeiten des jungen Köhlers Peter Munk an, der in Wilhelm Hauffs Märchen "Das kalte Herz" auftritt und der nach längerem Nachdenken merkt, dass ihn etwas betrübt. Es ist sein minderer Stand in der Gesellschaft. Als er sein warmes Herz beim Holländer Michel gegen ein Herz aus Stein eintauscht und reich wird, ist das nicht zu seinem Glück.
Im Mittelpunkt der Betrachtungen des Autors steht der "Histrio". Er sei der ideale Kandidat für Spitzenämter in der Mediengesellschaft. Der Histrio ist mehr als ein Machtmensch und mehr als der reine Narziß. Er wolle die eigene Person dramatisieren, theatralisches Verhalten ausleben, ständige Anerkennung durch andere einfordern und lege Wert auf übermäßiges Interesse an seiner körperlichen Attraktivität.
Histrionische Charaktere können nicht nur Männer, sondern auch Frauen sein. Um ein Idol der Mediengesellschaft zu werden, musste Marlene Dietrich in den USA einiges über sich ergehen lassen: Sie wurde um drei Jahre jünger gemacht, musste 30 Pfund abnehmen, ihre Haare blonder färben, die Augenbrauen höher legen, die Wimpern verlängern und zwei Backenzähne ziehen lassen, um ihre Wangen schmaler zu machen. Das war dann der neue Star der Paramount-Filmgesellschaft aus Hollywood, geformt aus den Wünschen des Publikums.
Und wie ist das heute? Das TV-Publikum schafft sich, so Winterhoff-Spurk, immer neue Lichtgestalten. Eine davon ist Klaus-Jürgen Wussow, der als Professor Brinkmann in der ZDF-Sendung "Schwarzwaldklinik" auftrat. Angeblich wurde er von Zuschauern in Briefen um medizinischen Rat gebeten. Eine andere Wirkung zeigt: Der Sender CBS lässt keine armen Figuren mehr in seinen Seifen-Opern auftreten, weil sich danach die Care-Pakete in den Redaktionen stapeln.
Der Autor bedauert die Zunahme von gewalttätigen Informationen. Könnte das nicht auch damit zusammenhängen, dass wir es heute mit mehr kriegerischen Auseinandersetzungen zu tun haben als kurz nach dem Ende des Ost-West-Konflikts? Zuweilen bleibt der Medienpsychologe Beweise für seine Thesen schuldig. So behauptet er, das Fernsehen habe den Einfluss von Religionen. Ist beides tatsächlich miteinander zu vergleichen? Mit Recht kritisiert er abschließend, dass Medienerziehung in Deutschland nur punktuell stattfindet. Bleibt zu hoffen, dass sich daran nach Winterhoff-Spurks Kritik etwas ändert; erste Anzeichen in den Schulen sind erkennbar.
Ein anspruchsvolles Buch, das durchaus den Titel "Zwei in einem" verdient hätte. Es fällt so schwer, den jungen Köhler Peter Munk dem Buchtitel zuzuordnen, ebenso wie das Kasperle, das sich vor dem Krokodil nicht fürchtet, obwohl das ganze Theater um Hilfe schreit. Trotzdem ist es Satz für Satz ein Lesegenuss, auch wenn sich der Sinn in den thematischen Zusammenhang bisweilen verschließt.
Peter Winterhoff-Spurk
Kalte Herzen.
Wie das Fernsehen unseren Charakter formt.
Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2005; 271 S., 19,50 Euro
Hermann Meyn hat viele Jahre in leitenden Funktionen als Journalist
und als Pressesprecher gearbeitet; heute lebt er im Ruhestand in
Meckenheim bei Bonn.