"Es herrschte Aufbruchstimmung"
Sommerpause im Bundestag - Zeit für das bundestag.de-Sommerinterview. Langjährige Abgeordnete aller Fraktionen berichten an dieser Stelle über ihre Erfahrungen im Parlament. Heute: Paul K. Friedhoff (FDP). Der 65-Jährige saß bereits zwischen 1990 und 2002 im Bundestag und wurde 2005 wieder in das Parlament gewählt.
Herr Friedhoff, warum haben Sie sich 1990 entschieden, für den
Bundestag zu kandidieren?
Der Kick kam durch die Mitgliedschaft in der "Mikat-Kommission", einer Expertenrunde, die eine Perspektive für die deutsche Steinkohle nach 1995 ausarbeiten sollte. Ich war bis dahin nur kommunalpolitisch aktiv. In der Kommission lernte ich unter anderem Adolf Schmidt kennen, den ehemaligen Vorsitzenden der IG Bergbau und Energie, von dem ich viel gelernt habe. Hier hat mich das politische Fieber gepackt, das fand ich unheimlich spannend.
Was war das für ein Gefühl, als Sie das erste Mal als
Abgeordneter im Plenarsaal saßen?
Da war man natürlich stolz. Es war auch noch das erste frei gewählte Parlament Gesamtdeutschlands nach Kriegsende. Da herrschte Aufbruchstimmung: Wir schaffen was, wir packen was an. Ich hatte die Erwartung, jetzt einen Beitrag leisten zu können.
Wovon handelte Ihre erste Rede?
Das war eine Rede zum Abbau der Kohlesubventionen. Ich war um halb zwei in der Nacht dran, nachdem der damalige Wirtschaftsminister Jürgen Möllemann seine Rede gehalten hatte. Für die Rede hatte ich mir die Kosten der Subventionen pro Bergmann ausgerechnet, das hatte vorher noch keiner offiziell getan. Aber ich habe den Text vorher Möllemann gezeigt und der hat mir dann die Zahl geklaut. Auf einmal hat der die in seiner Rede gebracht. Und ich war dann dumm dran mit meiner eigenen, weil ich die auf diese Zahl aufgebaut hatte (lacht).
Es heißt oft, die wichtigen Entscheidungen fallen hinter den
Kulissen. Wie viel Zeit verbringen Sie im Plenarsaal verglichen mit
der Zeit, die Sie für Fraktionssitzungen, Arbeitsgruppen und
andere Arbeiten benötigen?
Die Zeit, die man im Plenarsaal verbringt, dürfte in der Größenordnung von zehn bis 15 Prozent liegen. Darüber hinaus liest man viel. Ein großer Anteil geht natürlich für Gespräche mit den viel gescholtenen Lobbyisten drauf. Da darf man sich nicht nur mit einem unterhalten, da muss man die ganze Bandbreite beachten. Außerhalb der Plenarwochen besuche ich zum Beispiel mittelständische Betriebe in meinem Wahlkreis.
Welche Plenardebatte war für Sie die
bedeutendste?
Die nachhaltigste Sitzung, die mich geprägt hat, war die Fraktionssitzung, in der wir über die Nachfolge von Hans-Dietrich Genscher entscheiden sollten. Die Partei- und Fraktionsführung hatten sich ausgedacht, Irmgard Schwätzer zur Außenministerin zu küren, die Fraktion war aber dagegen. Schließlich wurde Klaus Kinkel beinahe gedrängt, das Amt zu übernehmen. Draußen war der ganze Flur voller Journalisten, die dachten, in einer halben Stunde haben sie die Nachricht. Die Sitzung begann um 15 Uhr, aber selbst zur Tagesschau stand Genschers Nachfolger noch nicht fest.
An was können Sie sich auch nach so vielen Jahren im Bundestag
nicht gewöhnen?
Ich kann mich nicht daran gewöhnen, dass immer mehr Reden nur zu Protokoll gegeben werden. Dadurch, dass selbst kleine Themen, die nur eine kleine Gruppe von Abgeordneten interessieren, stundenlang debattiert werden müssen, fallen wichtige Themen unter den Tisch.