4. Oktober 2010
© DBT/Achim Melde
Ob bestimmte Inhalte im Internet schneller als andere
transportiert werden dürfen oder ob dies gegen die
Netzneutralität verstößt, ist unter Experten
umstritten - das wurde während einer öffentlichen
Anhörung deutlich. Hintergrund der Diskussion ist die
ständig steigende Datenmenge im Netz, die möglicherweise
zu Übertragungsengpässen führen könnte.
Intelligentes Netzmanagement gefordert
Die
Transportkapazität sei keine unbegrenzte Ressource, sagte
Thomas Aidan Curran von der Deutschen Telekom AG. Mit
Netzmanagement, das der europäische Rechtsrahmen erlaube,
glaube man das Problem vernünftig lösen zu können,
sagte Curran. "Nur durch diese intelligente Verkehrssteuerung kann
die Funktionsfähigkeit des Netzes abgesichert werden."
Diskutiert werden dürfe daher nicht ob es ein Netzmanagement
geben dürfe, sondern wie dieses aussehen solle.
"Priorisierung von Angeboten"
Die Frage, ob
ein solches Netzmanagement einen Verstoß gegen die
Netzneutralität darstelle, könne nur beantwortet werden,
wenn dafür eine klare Definition vorliege, sagte Sebastian von
Bomhard vom Internetprovider Spacenet AG. Bis vor Kurzem
hätten die Provider unter Netzneutralität noch die
Selbstverpflichtung verstanden, den Datenschutz zu wahren und nicht
in die transportierten Datenpakete hineinzuschauen. Versuche der
Politik, bestimmte Inhalte zu sperren, hätte man als
Verstoß gegen die Netzneutralität empfunden. Heute gehe
es dagegen vielmehr um die Frage der "Priorisierung von
Angeboten".
"Demokratische Vielfalt im Wettbewerb
erhalten"
"In dem Moment, in dem in Inhalte von
Datenpaketen geschaut wird oder nach Absender und Empfänger
die Entscheidung über die Zustellung eines Datenpakets
getroffen wird, ist die Netzneutralität verletzt", sagte
Andreas Bogk vom Chaos Computer Club. Zwar könne es
"technische Gründe" für eine andere Behandlung geben,
doch müsse die "demokratische Vielfalt im Wettbewerb" erhalten
bleiben. Schließlich sei Netzneutralität nicht nur ein
wirtschaftliches sondern auch ein "demokratisches Thema".
Diskriminierung von Internetangeboten
befürchtet
Er könne sich nicht vorstellen,
wie eine Priorisierung eines bestimmten Dienstes ohne die
gleichzeitige Diskriminierung eines anderen Angebotes erfolgen
solle, sagte Falk Lüke von der Verbraucherzentrale
Bundesverband. Im Interesse der Verbraucher sei es nicht
wünschenswert, dass über die Maßgabe der
Priorisierung eine "Verknappung der Bandbreite" angestrebt werde,
durch die Anbieter höhere Preise erzielen könnten, indem
bestimmte Dienste nicht mehr im Grundangebot enthalten seien, sagte
er. Aus Verbrauchersicht sei zudem das sogenannte
Best-Effort-Modell, also die pauschale Qualitätszusicherung
der Netzbetreiber, sehr erfolgreich und sollte Bestand haben.
"Priorisierung nötig"
Der
Wirtschaftsrechtler Simon Schlauri von der Universität
Zürich vertrat die Ansicht, dass eine Priorisierung nötig
sei, um bestimmte Dienste überhaupt anbieten zu können.
Dazu gehöre etwa das Internet-Fernsehen, sagte Schlauri.
Gleichwohl bestehe bei der Zulassung der Priorisierung ohne
Rahmenbedingungen das Risiko, "dass Provider anfangen, priorisierte
Leitungen zu verkaufen oder Exklusiverträge mit
Anwendungsanbietern zu schließen". Dadurch könne der
"Best-Effort-Weg zum Feldweg verkommen". Dem könne man
entgegenwirken, indem Anbieter, die priorisierte Leitungen gegen
Geld anböten, dazu verpflichtet werden, in Zeiten, in denen es
keine Engpässe gibt, auch einen Best-Effort-Kanal zu einem
angemessenen Preis freizuhalten.
"Frage nach der grundsätzlichen Bedeutung des
Internets"
Tim Mois von der Sipgate GmbH, einem
Internet-Telefonie-Anbieter, lehnt eine grundsätzliche
Priorisierung ab. Es ergebe sich dann eine Situation, in der jemand
anderes als der Sender und Empfänger über Inhalte und
Dienste des Internets entscheiden könnte, sagte Mois. Dies
würde die Frage nach der grundsätzlichen Bedeutung des
Internets für die Gesellschaft aufwerfen. Seiner Auffassung
nach könne die technische Fragestellung, ob sich mit
Priorisierung wirtschaftlichere Netze bauen ließen, keine
Veranlassung sein, an der stabilen und funktionierenden Situation
des heutigen Internets Änderungen vorzunehmen. (hau)