Auf große Aufregung folgte, wie eigentlich immer, große Beruhigung. War 2004 das Jahr, in dem mit DVU und NPD gleich zwei rechtsextreme Parteien in die Landtage von Brandenburg und Sachsen gewählt wurden, schien 2005 wieder alles gut oder doch zumindest viel besser zu sein. In den Fraktionen zerfleischten sich die Rechtsextremen, wie meistens, gegenseitig; prompt reagierte auch der Wähler so, wie man sich das in einer Demokratie wünscht. Ein Jahr nach dem Eklat von Sachsen, als die Neonazipartei NPD 9,2 Prozent der Stimmen einfuhr, ging am 18. September 2005 ein erleichtertes Raunen durch die Republik: Gerade 1,6 Prozent wählten die NPD, 0,6 Prozent die Republikaner. Die DVU war bei den Bundestagswahlen gar nicht erst angetreten.
Ein Grund zur Beruhigung besteht aber eigentlich nicht einmal auf den ersten Blick: Selbst das Wahlergebnis verliert an Charme, wenn man es regional aufschlüsselt. In ihren Hochburgen in Sachsen und Mecklenburg- Vorpommern sammelte die NPD fünf bis 15 Prozent der Stimmen ein – und auch bundesweit erzielte sie, was von den Medien zu wenig beachtet und berichtet wurde, ihr bestes Wahlergebnis seit 1969.
Auf den zweiten Blick drängen sich eine ganze Reihe Argumente gegen den Eindruck auf, dass das Ergebnis der Bundestagswahl irgendeine Aussagekraft im Hinblick auf Ausmaß und Kontinuität rechtsextremer Tendenzen habe. Schon seit den 1950er Jahren – insbesondere aber seit die so genannte „SINUS“-Studie 1979, die 13 Prozent der Bundesbürger ein „rechtsextremes Weltbild“ attestierte, auch in den Medien intensiv diskutiert wurde, weisen nicht nur Experten darauf hin, dass Rechtsextremismus an Wahlergebnissen allein überhaupt nicht gemessen werden kann. „Rechtsextreme und Wähler rechter Parteien – das sind zwei verschiedene Sachen“, konstatiert der Berliner Parteienforscher Oskar Niedermayer. Über die Wahl einer rechtsextremen Partei entscheiden außer der persönlichen Einstellung eine Reihe anderer Faktoren: Ein „attraktives“ Angebot rechter Parteien, das Maß der sozialen Unzufriedenheit, der Verdruss über die etablierten Parteien und welche Wahlthemen für den Einzelnen im Vordergrund stehen. Wer soziale Sicherheit wählt, wählt weniger schnell die NPD als jemand, der das Thema „Überfremdung“ auf seiner Prioritätenliste ganz oben führt. Eine starke Polarisierung zwischen zwei Parteien – wie bei der Bundestagswahl 2005 zwischen CDUund SPD – trägt hingegen dazu bei, dass viele ihre Stimme den so genannten „Etablierten“ geben.
Nun wäre es aber verfehlt zu glauben, dass die Rechtsextremen ihr mangelnder politischer Erfolg über Gebühr berührt. Mindestens der NPD, die als erste Partei kaum noch den Anschein demokratischer Grundfeste zu wahren versucht, geht es gar nicht zuallererst um eine Verankerung im Parteiensystem. Stattdessen verfolgt sie nach den Worten ihres Vorsitzenden Udo Voigt eine dreiteilige Strategie: eine „Schlacht um die Wähler, die Köpfe und die Straße“.
Rechte Freizeitkultur
Vor allem, aber nicht nur in der ostdeutschen Provinz tritt die NPD dann auch in der Tat und weitgehend frei von medialer Anteilnahme als eine Art Volksbewegung und Freizeitverein auf. Wer sich in Vorpommern, der Sächsischen Schweiz oder im Thüringer Wald langweilt, dem hilft im Zweifel die „Nationaldemokratie“: mit Zeltlagern und Wanderungen, Gitarrenmusik und Denkmalbesichtigungen. „Gerade wenn es sonst nicht viel gibt, laufen die Leute in Heerscharen ins nationalistische Freizeitlager“, sagt Anetta Kahane, Leiterin der Antonio-Amadeo- Stiftung, die versucht, jene Initiativen zu stärken, die sich der rechten Freizeitkultur entgegenstellen.
Nun darf man sich das nicht so vorstellen, dass der böse Nationaldemokrat von nebenan plötzlich aus dem Nichts auftaucht und unschuldigen Kindern die Köpfe verdreht. „Der rechte Mainstream ist viel älter als der NPDErfolg“, erklärt der sachsen-anhaltinische Rechtsextremismus-Experte David Begrich, „die Jugendkultur in den meisten Dörfern steht rechts – seit Jahren!“ In der Praxis heißt das, dass es an Schulen und in Jugendclubs, auf Marktplätzen und an Tankstellen längst normal geworden ist, rechts zu sein und sich auch so zu gerieren. Mit markigen Sprüchen gegen Ausländer und mit dem Rückzug in die eigene Gruppe, aber auch mit immer mehr modischen und musikalischen Insignien. Seit die Hersteller der Kleidungsmarken „Fred Perry“ und „Lonsdale“ sich mehr oder minder erfolgreich vom Ruf der Nazi-Mode freigekämpft haben, ist „Thor Steinar“ die unangefochtene Nummer eins und in so ziemlich jedem Jeansladen zu haben. Musikalisch wählen Jugendliche in Ost wie West inzwischen aus der ganzen Bandbreite von rechtem Gitarrenrock bis rechtem Hip-Hop aus. Mehr als hundert rechtsextreme Bands zählen Verfassungsschützer, bei ständig steigender Tendenz. So beliebt sind viele der Bands, dass szeneintern schon geklagt wird, auf den Konzerten verstünden immer mehr Jugendliche viel von Musik – und wenig von Ideologie.
Menschenfeindliche Einstellungen
Die meisten dieser Jugendlichen gefährden niemanden und zählen vielleicht nicht einmal zu den 6,66 Prozent, die bei einer parallel zur Bundestagswahl abgehaltenen U18-Wahl der NPD ihre Stimme gegeben hätten – hätten sie denn mit unter 18 wählen dürfen. Vielleicht sind sie abgesehen davon, dass Jugendliche sich öfter in der Öffentlichkeit aufhaliten, auch einfach nur wie ihre Eltern? Der Bielefelder Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer beobachtet jedenfalls ein stetes Ansteigen so genannter „menschenfeindlicher“ Einstellungen in der gesamten Bevölkerung. In einer Langzeiterhebung unter dem Titel „Deutsche Zustände“ registriert er jedes Jahr mehr Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Heterophobie (gegen Obdachlose, Homosexuelle, Muslime) und Sexismus. Heitmeyer warnt vor den Folgen für die Menschen, die diesen Gruppen zugehören: „Die Sicherheit ihrer physischen und psychischen Integrität ist gefährdet, die ihnen ein Leben frei von Angst ermöglicht.“
Das gilt nicht nur deswegen, weil das martialische Auftreten der Steinar- Kapuzen-Träger Andersdenkende erschreckt und mundtot macht. Der rechte Mainstream auf manchen Straßen und Plätzen schafft auch einen (Schutz-)Raum für all die, die mit erschreckender Brutalität gegen alles „andere“ vorgehen: Anders als die relative – mediale – Ruhe um den Rechtsextremismus glauben machen könnte, werden Opfer wie Täter rechtsextremer Gewalt nämlich immer mehr: Bereits im vergangenen Mai prangerte der damalige Bundesinnenminister Otto Schily im Deutschen Bundestag mit dem Verfassungsschutzbericht 2004 einen massiven Zuwachs von Neonazis sowie immer mehr rechtsextreme Straf- und Gewalttaten an. 640 Körperverletzungen, 37 Brandstiftungen, zwei Fälle von Freiheitsberaubung, neun Raubdelikte sowie sechs versuchte Tötungsdelikte waren darunter. 2005 stieg die Zahl der Straftaten nach den vorläufigen Zahlen der Bundesregierung noch einmal um erschreckende 30 Prozent.
Nun ist das mit Polizeistatistiken immer so eine Sache; hoch ist die Dunkelziffer, unterschiedlich sind das Meldeverhalten der Bürger und die Registrierungspraktiken der Behörden;widerstreitend zuweilen die Zahlen. Ein Blick auf ein paar aktuelle Vorfälle wirft aber ein deutliches Licht auf die Menschenverachtung, mit der die Täter zu Werke gehen: Da wird in Pömmelte (Sachsen-Anhalt) ein 12- Jähriger mit vorgehaltener Gaspistole zu Führerhuldigungen gezwungen und ihm anschließend eine Zigarette im Auge ausgedrückt; da bewerfen in Sangerhausen (Sachsen-Anhalt) Berufsschüler Lernbehinderte mit Feuerwerkskörpern; da wird in Altdorf (Bayern) ein Rollstuhlfahrer angegriffen und lebensgefährlich verletzt. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen: 588 rechtsextreme Gewalttaten verzeichnet die Statistik 2005, neunzig mehr als 2004. Der harte Kern gewaltbereiter Neonazis wird mit 4.100 beziffert; 300 mehr als vor einem Jahr.
Hysterie oder Schweigen
Bleibt die Frage, warum Rechtsextremismus zurzeit in den Medien wenig diskutiert wird. Toralf Staud, einer der wenigen Journalisten, die sich kontinuierlich mit dem Phänomen beschäftigen und auch Ortsbesuche nicht scheuen, zieht in seinem jüngst erschienenen Buch „Moderne Nazis“ ein eher lakonisches Resümee: „Über Rechtsextremismus wird in Deutschland entweder hysterisch oder gar nicht geredet.“ Die Bertelsmann-Stiftung sieht es in ihrer 2005 erschienenen Studie „Strategien gegen Rechtsextremismus“ ähnlich. Die Behandlung des Rechtsextremismus und rechtsextremistischer Gewalttaten, so heißt es da, erfolge überwiegend in der ereignisbezogenen tagesaktuellen Berichterstattung, nicht aber in Hintergrundberichten, die sich auch vorausschauend mit der Frage nach den Ursachen und deren Beseitigung befassen. Auf diese Weise folge die Behandlung des Rechtsextremismus einer „politischen Konjunktur“, die dem Phänomen nicht gerecht werde: „Das Thema benötigt eine dauerhafte und intensive Berichterstattung, die auch über die Hintergründe informiert“, fordern die Autoren, „sich auf aktuelle Ereignisse zu fixieren, reicht nicht.“
Das allerdings ist ein Auftrag, der sich nicht nur an die Medien richtet, sondern an die gesamte politische Öffentlichkeit. Im Deutschen Bundestag – wie auch in den Parlamenten der Bundesländer, in den Stadt- und Gemeinderäten – wird über Programme und Fördermaßnahmen entschieden, die zur Bekämpfung der Ursachen des Rechtsextremismus zur Verfügung stehen. Diese können allerdings nur den Rahmen schaffen und die Bedingungen verbessern – die gesamte Zivilgesellschaft bleibt aufgerufen, diese Möglichkeiten zu nutzen, um Rechtsextremismus in allen seinen Formen schon im Ansatz zu bekämpfen.
Text: Jeannette Goddar
Erschienen am 7. März 2006
Stellungnahmen:
Jugend für Toleranz und Demokratie
Entimon – gemeinsam gegen Gewalt und RechtsextremismusWebseite: www.xenos-de.de
Amadeu Antonio Stiftung
Unterstützung von Initiativen und Projekten, die kontinuierlich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus vorgehen. Benannt nach Amadeu Antonio Kiowa, 1990 von Rechtsextremen in Eberswalde getötet.
Webseite: www.amadeu-antonio-stiftung.de
Webseite: www.bertelsmann-stiftung.de
Webseite: www.verfassungsschutz.de