*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

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10.2.1.7   Die Vereinten Nationen und Global Governance

Die bekannteste internationale Organisation sind sicherlich die Vereinten Nationen (UNO), die im Rahmen von Global Governance eine zentrale Rolle spielen (vgl. Dicke 2001, DGVN 2002, Rittberger 2002). Wie die komplexe Struktur der Vereinten Nationen verdeutlicht, hat die Präsenz internationaler Institutionen in den verschiedenen Politikfeldern einen beachtlichen Umfang erreicht (s. Abb. 10-2).

Die Leistungsfähigkeit der UNO wird zunehmend auch an unmittelbaren Erwartungen der Weltöffentlichkeit im Hinblick auf globale Politikgestaltung und Problemlösung gemessen. Angesichts dieser steigenden Erwartungen ist die    UNO – wie auch andere existierende internationale Organisationen – jedoch oft überfordert. Die Vereinten Nationen sind als globale Organisation stärker noch als die meisten anderen multilateralen Organisationen auf Zustimmung der gesamten Weltgemeinschaft angewiesen. Zugleich werden ihre Handlungsmöglichkeiten durch die poli­ tischen, militärischen und finanziellen Kapazitäten begrenzt, die ihnen die Mitgliedsstaaten zur Verfügung stellen. Doch nicht nur diese Umstände begrenzen die Möglichkeiten der Vereinten Nationen zur globalen Politikgestaltung. Auch interne Faktoren, wie Verhandlungs- und Entscheidungsregeln und -praktiken, Informationsaufbereitung, ihre bisweilen unzureichende Flexibilität und partiell divergierende Interessen der verschiedenen UN-Organisationen sind nicht immer die idealen Voraussetzungen für eine optimale Arbeit. Bei der Forderung nach Reformen sollte die Unterscheidung zwischen internen und externen Faktoren, die die Leistungsfähigkeit der UNO beeinflussen, berücksichtigt werden: Interne Faktoren sind von der Institution selbst reformierbar, dagegen hat die UNO auf externe Faktoren nur sehr bedingt Einfluss.

Es lassen sich vier Ebenen der Umsetzung von Reformvorschlägen unterscheiden, die zugleich mögliche Ansatzpunkte für eine Verbesserung der Leistungsfähigkeit internationaler Institutionen benennen (vgl. Dicke 2001, Hüfner und Martens 2000: 7 ff.):

–    die Ebene administrativer und organisatorischer Reformen, die im Wesentlichen interne Effizienzsteigerungen internationaler Institutionen beabsichtigen;

–    die Ebene struktureller Reformen, mit denen in Aufgabenzuweisungen und die in sog. intra-organisatorische Koordination im UN-System eingegriffen wird;

–    die Ebene institutioneller Reformen, die Neugründungen oder die Zusammenführung von Institutionen verfolgen;

–    und die Ebene konstitutioneller und „kognitiver“ Reformen, die sich entweder auf rechtliche oder auf poli­ tische Veränderungen des Verhaltens politischer Akteure in internationalen Institutionen beziehen.

Administrativ-organisatorische und strukturelle Reformvorschläge

Die UNO sollte in die Lage versetzt werden, die verabschiedeten Aktionsprogramme und deren konsensual beschlossenen Inhalte auch effektiv in die Realität umsetzen zu können. Das beklagte „Vollzugsdefizit“ der UNO leitet sich oft aus der Tatsache ab, dass die UNO keinen supranationalen Charakter und kein Gewaltmonopol inne hat und daher die einzelnen Politikschritte bei 189 Mitgliedstaaten konsensabhängig sind. Durch das Prinzip „one state – one vote“ verlangsamen sich die Abstimmungsprozesse, aufgrund eines einzigen Vetos besteht gar die Möglichkeit des Scheiterns. Andererseits würden alle anderen Entscheidungsmöglichkeiten, wenn sich also etwa Staaten Mehrheitsbeschlüssen unterwerfen müssten, zu einer weiteren Schwächung der nationalen Parlamente führen.

Mehrere Möglichkeiten, das oft kritisierte Demokratiedefizit der UNO abzubauen, sind in der Diskussion. Die demokratische Wahl der nationalen Delegation für die Generalversammlung (GV) durch das jeweilige Staatsvolk wäre eine Option. Auch könnten Parlamentarier über die (ggf. ebenfalls zu reformierende) Interparlamentarische Union (IPU) enger in die Arbeit der UNO einbezogen werden, etwa durch jährliche Treffen parallel zu Sitzungen der GV (vgl. Kapitel 10.4). Erheblich weiter geht der (umstrittene) Vorschlag, neben der Generalversammlung der UNO eine parlamentarische Versammlung als zweite Kammer einzurichten. Eine solche „Peoples Chamber“ – neben der Generalversammlung als Staatenkammer – könnte auch eine Plattform für gesellschaftliche Akteure bieten. Dieser Ansatz stößt jedoch auch auf Skepsis, da die Festlegung der Zusammensetzung eines solchen Parlaments kaum überwindbare Probleme – etwa demographischer Art – bereitet.

Weitere Vorschläge zur Demokratisierung der UNO beziehen sich auf die Reform des Sicherheitsrates. Die Legitimität der Entscheidungen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sollte gestärkt werden. Mehrere konkurrierende Vorschläge sind hier in der Diskussion (vgl. Gareis und Varwick 2002: 256ff.). Prominent ist v.a. die Diskussion um die Ausweitung der Ständigen Mitgliedschaft und Sitzverteilung im Sicherheitsrat, da die mo­ mentane Sitzverteilung, die aus der Nachkriegskonstellation resultiert, als nicht mehr zeitgemäß und mittelfristig nicht haltbar erscheint. Einige fordern eine Neuver­ teilung der Sitze im Sicherheitsrat nach dem Regionalprinzip, u.a. mit einem permanenten Sitz für die EU. Da eine Zustimmung aller momentanen Ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates hierzu jedoch unwahrscheinlich erscheint,39 fordern andere als einen realistischen ersten Schritt einen permanenten Sitz für Deutschland und Japan. Eine weitere Option, die ohne Charta-Änderung erreicht werden könnte, ist die Schaffung eines regional gegliederten Unterbaus, der die Regionalorganisationen (wie die EU, OSZE, ASEAN oder AU) stärker in die Aufgabe der Friedenssicherung einbezieht (vgl. Dicke 2001, 2002). Generell sollte die deutsche Außenpolitik auf eine enge Abstimmung der UNO-Politik innerhalb der EU drängen und damit zugleich die GASP stärken. Das Vetorecht des Sicherheitsrates – falls es nicht durch zeitge­ mäßere Entscheidungsverfahren abgelöst werden kann – könnte an eine Begründungspflicht gegenüber der Generalversammlung gebunden werden (vgl. auch Deutscher Bundestag 2001f.). Weitergehende Überlegungen gehen dahin, die Entscheidungen des Sicherheitsrates über Krieg und Frieden im Rahmen eines noch zu schaffenden Interventionsregimes vor den IGH zu bringen, um auch im Sicherheitsbereich dem Prinzip der Gewaltenteilung zum Durchbruch zu verhelfen. Um ein schnelleres Handeln beim „Peace Keeping“ zu ermöglichen, müssten die Staaten dem Generalsekretär die Instrumente zur Verfügung stellen, die ihnen die „Agenda für den Frieden“ von 1992 abverlangt hatte, vor allem die schon von der UN-    Charta vorgesehenen Interventionskontingente zur Vermeidung, Eindämmung oder Beendigung von Gewaltausbrüchen. Auch hier könnten und sollten die EU-Staaten oder die EU im Rahmen der GASP mit gutem Beispiel vorangehen, wenn sie wirklich eine Stärkung der Vereinten Nationen im Kernbereich der Friedenssicherung erreichen wollen. Die Aufgaben in der Krisen- und Konfliktprävention werden wachsen, weil die GASP größere politische und militärische Anstrengungen abfordert, als die EU bisher zu leisten fähig und bereit war. Parlament und Regierung müssen die Öffentlichkeit auf diese Herausforderungen vorbereiten, dies gilt noch mehr mit Blick auf einen erweiterten Sicherheitsbegriff im Sinne von „Human security“.

Um die Leistungsfähigkeit der UNO zu verbessern, ist auch eine Rekrutierung qualifizierten Personals unumgänglich (vgl. Göthel 2002). Wie dies gleichzeitig mit einer Verschlankung der UNO einher gehen könnte, sollte untersucht werden. Auch die deutsche Personalpolitik ist zu verbessern (vgl. Hüfner 2001).

Institutionelle Reformen und die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen

Die schrittweise Verbesserung der Kooperation, Koordination und Kohäsion der Institutionen der UNO ist ein wichtiges Reformziel. Institutionenkonkurrenz hat sich in der Vergangenheit nicht immer als leistungssteigernd erwiesen, vielmehr erhöht jede Neugründung das Koordinationsproblem (vgl. Dicke 2001). Von übereilten Neugründungen neuer Organisationen sollte daher eher abgesehen werden. Durch die Bearbeitung neuer Probleme können etablierte Institutionen wie die UNO ihre Glaubwürdigkeit steigern – sie sollten durch qualifizierte Personalausstattung dazu in die Lage versetzt werden, effizient reagieren zu können. Andererseits gibt es auch erfolgreiche Beispiele für die Neueinrichtung von Organisationen wie etwa den Internationalen Strafgerichtshof.40 Generell sollten Sonderorganisationen wie WTO, IWF oder WIPO und auch globale Organisationen wie IEC und ISO künftig enger mit der UNO zusammenarbeiten.

Zudem ist die enge Zusammenarbeit und Verzahnung der Arbeit der UNO mit der regionalen, nationalen und lokalen Ebene von großer Bedeutung, auch um die Akzeptanz internationaler Politik in nationalen Gesellschaften zu stärken und die globalen Entscheidungsträger in der Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger zu halten. Der Entscheidungsprozess in der UNO könnte durch eine vorgängige regionale Interessensbündelung weitaus erfolgreicher und effizienter erfolgen (vgl. Kapitel10.2.1.4).

Konstitutionelle und „kognitive“ Reformen

Grundsätzlich wären Verhaltensänderungen der Mitgliedsstaaten in Richtung einer konstruktiveren Politik gegenüber der UNO zu begrüßen. Auch die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Arbeit der UNO erscheint vielversprechend. Während von einigen bereits die lebhafte Partizipation der NGOs auf UN-Konferenzen als ausreichend empfunden wird, wollen andere den NGOs mehr Spielräume eröffnen (vgl. Kapitel 10.3).Die Verbreitung von Kenntnissen über die Arbeit der UNO kann ein direkter Beitrag zur Steigerung ihrer Legitimität und auch Leistungsfähigkeit sein.

Internationale Gender-Politik im Rahmen der UNO

Globale Politik für Geschlechtergleichheit unter dem Dach der Vereinten Nationen ist ein relativ junges Phänomen, das eng auf den Prozess ökonomischer Globalisierung bezogen ist.41 Erst mit der Welt-Frauendekade von 1975–1985 wurden geschlechtsspezifische Unterdrückung und Diskriminierung überhaupt zum Thema von UN-Politik. Seither gilt „Empowerment“, ein Konzept, das Mitte der 1980er Jahre von Feministinnen aus den südlichen Kontinenten entwickelt wurde und den Prozess der Machtbildung und der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen in allen Bereichen politischen und gesellschaftlichen Lebens und Handelns beschreibt, zugleich als Mittel und Ziel einer frauengerechten Weltentwicklung. Gleiche soziale, ökonomische und politische Entscheidungsrechte und gleiche Verfügung über Ressourcen von der lokalen bis zur internationalen Ebene lassen sich, so der Kerngedanke der „Empowerment“-Idee, nur über die Transformation aller fundamentalen gesellschaftlichen Ungleichheitslagen ver­ wirklichen (exemplarisch Wichterich 1995, Ruppert 1998). Die Agenda 21 stellt vielfältige Bezüge auf Frauen als Handelnde und Betroffene von Umwelt- und Entwicklungspolitik her und betont die Partizipationsrechte der Frauen von der lokalen bis zur internationalen Ebene. Auch die Aktionsplattform von Peking versteht sich ausdrücklich als detailliert handlungsleitendes Programm zum „Empowerment“ von Frauen weltweit (vgl. Wichterich 1995, 1996). Die internationale Staatengemeinschaft hat zudem mit der Erklärung der UN Weltfrauenkonferenz das Prinzip des „Gender Mainstreaming“ beschlossen. Dementsprechend haben sich die Vereinten Nationen gemäß der Pekinger Aktionsplattform dem Prinzip des „Gender Mainstreaming“ innerhalb der eigenen Institution verpflichtet: Beim „Administrative Committee on Coordination“, in dem die Abstimmung der Programme der UN-Sonderorganisationen aufeinander erfolgt, wurde das „Interagency Meeting on Women and Gender Equality“ eingerichtet. Dieses Gremium macht Vorschläge zur Umsetzung der in Peking formulierten Prinzipien und prüft und überwacht die von den einzelnen Sonderorganisationen durchgeführten Maßnahmen. Die Umsetzung der Aktionsplattform von Peking und ihrer Konkretisierungen in der Resolution der Sondergeneralversammlung Peking +5 müssen im Rahmen von Global Governance von den Regierungen konsequent vorangetrieben werden. Beide Dokumente müssen für alle darin differenzierten Politikbereiche als Maßstab internationaler Verhandlungen gelten.

   Empfehlung 10-7       Stärkung internationaler Organisationen

Die Enquete-Kommission empfiehlt der Bundesregierung, im Verbund mit der EU zur Stärkung internationaler Organisationen beizutragen, um deren Fähigkeiten zum Management grenzüberschreitender Probleme und zur Bereitstellung globaler öffentlicher Güter zu verbessern. Stärkung bedeutet eine Effizienzsteigerung sowohl durch eine ausreichende Finanzausstattung als auch durch die Übertragung von Handlungskompetenzen („geteilte Souveränitäten“), wo dies notwendig und sinnvoll ist, wobei eine begleitende parlamentarische Kontrolle gesichert sein muss.

Ein konkretes und von der Bundesregierung zu unterstützendes Projekt ist die institutionelle wie finanzielle Aufwertung des UNEP, das so bald wie möglich zu einer Weltumweltorganisation ausgebaut werden sollte (s.Em­p­ feh­ lung7-23ff.). Ziel ist hier, die Arbeit der verschiedenen Umweltregime zu bündeln und besser aufeinander abzustimmen, um die internationale Umweltpolitik zu stärken.

Empfehlung 10-8       Die UNO stärken und demokratisieren

Die Legitimität der Entscheidungen des UN-Sicherheitsrates sollte gestärkt werden. Die Bundesregierung sollte eine Reforminitiative initiieren bzw. unterstützen, die auf eine stärkere Repräsentanz der Weltregionen und auf die Schaffung eines regional gegliederten Unterbaus abzielt, der die Regional­ or­ ganisationen (wie die EU, OSZE, ASEAN oder AU) stärker in die Aufgabe der Friedenssicherung einbezieht. Die Enquete-Kommission unterstützt die Forderung des Deutschen Bundestages (Deutscher Bundestag 2001f) und der Bundesregierung, das Vetorecht im Sicherheitsrat – falls es nicht durch zeitgemäßere Entscheidungs­ verfahren abgelöst werden kann – an eine Begründungspflicht gegenüber der Generalversammlung zu binden. Auch beim Peace Keeping sollten die Staaten die Instrumente zur Verfügung stellen, die ihnen die „Agenda für den Frieden“ von 1992 abverlangt, vor allem die schon von der UN-Charta vorgesehenen Interventionskontingente zur Vermeidung, Eindämmung oder Beendigung von Gewaltausbrüchen.

Um das häufig beklagte „Vollzugsdefizit“ der UNO zu überwinden, muss sie in die Lage versetzt werden, die Umsetzung der z.B. auf den Weltkonferenzen verabschiedeten Aktionsprogramme wirksamer kontrollieren und vorantreiben zu können. Zu diesem Zweck sollte der Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) mit einem Review-Prozess ausgestattet werden, der ihm ein wirksames „Compliance management“ ermöglicht.

Empfehlung 10-9       Internationale Genderpolitik in der UNO

Die Enquete-Kommission fordert die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass auch die Beschlüsse der IV. Weltfrauenkonferenz der UN in Peking umgesetzt werden. Hier geht es um die Entwicklung der Programmatik, das Monitoring der Umsetzung (insbesondere in der EU und Deutschland) und weitere Aktivitäten (wie eine Folgekonferenz), die von der Bundesrepublik zu unterstützten sind, mit dem Ziel, sich auch kontinuierlich dafür einzusetzen, dass auf den weiteren Nachfolgekonferenzen der UN die Geschlechterdimension adäquat eingebracht und behandelt wird. Dazu gehört es, die Institutionen, die im UN-System Gleichstellung voranbringen (z.B. CSW, CEDAW, Unifem, ILO), in ihrer Position zu stärken und mit den entsprechenden Programmen (CEDAW, Menschenwürdige Arbeit/ILO) konstruktiv zu kooperieren und diese umzusetzen. Auch bei anderen Abkommen sollte die Bundesregierung auf die Überprüfung hinsichtlich geschlechtsspezifischer Auswirkungen dringen.



39 Eine dazu notwendige Änderung der UNO-Charta erfordert neben einer Zwei-Drittel-Mehrheit an Ratifikationen durch die Mitglieder der UNO auch die Zustimmung sämtlicher Ständiger Mitglieder des Sicherheitsrates (Art. 108 und Art. 109 Abs. 2 der Charta).

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40 Die notwendige Ratifizierung des 1998er Statuts von Rom durch 60 Staaten wurde am 11. April 2002 erreicht.

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41 Dieser Abschnitt basiert auf einem Gutachten von Ruppert (2002). Vgl. auch Ruppert (2001a/b) sowie Kapitel 6dieses Berichts.

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Abbildung 10-2