Der Welthandel wird zunehmend durch Piraterie bedroht
Mit M-16-Gewehren und Raketenwerfern bewaffnet, entern die verschwitzten, grimmig dreinschauenden Männer den Tanker in der Straße von Malakka. Schüsse knallen. Die erschrockenen Matrosen gehen in Deckung. Sie fürchten um ihr Leben. Denn die Piraten der Tropen kennen schon lange kein Pardon mehr. 30 Seeleute kamen vergangenes Jahr bei ihren Überfällen ums Leben. Seit Ende Februar 2005 haben sie schon wieder zwei Schiffe in der Meerenge zwischen der malayischen Halbinsel und Sumatra überfallen und Menschen entführt. Die trügerische Ruhe nach dem Tsunami ist vorbei. Die Piraten kommen wieder hervor, und mit ihnen die Gefahr. Piraten und Terroristen haben die Schiffe und ihre Besat-zung längst als leichte Beute ausgemacht. Den Piraten geht es dabei nur ums Geld, den Terroristen um den Welthandel - der auf sichere Seewege angewiesen ist und mit einigen wenigen Anschlägen fast schon lahmgelegt werden kann.
Die 500 Kilometer lange Straße von Malakka ist eine der wichtigsten Handelsrouten der Welt. Rund 600 Schiffe passieren tägliche diese Meerenge, transportieren ein Drittel des Welthandels, die Hälfte der asiatischen Öl-Importe und zwei Drittel des weltweit verschifften Naturgases. 80 Prozent des Öls für Japan, Südkorea und China aus dem Persischen Golf muss durch diesen Brennpunkt, wo islamischer Fundamentalismus, Piraterie, unübersichtliche Geografie, Armut, Korruption und Vetternwirtschaft zusammentreffen. Ein, bis zwei von Terroristen gekaperte Tanker könnten ausreichen, um die Meerenge zu sperren, die Millionenstadt Singapur in Angst und Schrecken zu versetzen, die Energieversorgung Ostasiens, den Warenverkehr für Tage zu stoppen sowie für Wochen und Monate empfindlich zu stören. War das World Trade Center in New York vor allem ein Symbol der Globalisierung, so ist die Straße von Malakka eine Lebensader für deren Fortschreiten. Ein attraktives Ziel für Terroristen, die in der Region ebenso Unterschlupf finden, wie die inzwischen wohl organisierten Piraten. Verbindungen zwischen den Gruppen sind denkbar.
Rund 80 Prozent des Welthandels werden auf 50.000 riesigen und vielen kleinen Schiffen transportiert. Täglich werden 80 Millionen Barrel Öl verbraucht. 60 Prozent davon sind auf rund 4.000 langsamen und schwerfälligen Tankern unterwegs.
Die dynamischste Wirtschaftsregion der Welt - Ostasien - ist davon besonders abhängig. Japan importiert sein gesamtes Öl; China rund ein Drittel, 60 Prozent davon aus dem Persischen Golf. Indien führt rund 70 Prozent seines Rohöls ein, über 60 Prozent aus dem Mittleren Osten. Außer Japan verfügt keines dieser Länder bisher über nennenswerte strategische Ölreser-ven. Jede Unterbrechung der Energieversorgung kann ernste Konsequenzen haben. Produktionen müssten gedrosselt oder eingestellt werden. Schon jetzt, ohne externe Einflüsse, kann China seinen Energiehunger nicht stillen und muss immer wieder Ausfälle hinnehmen.
Diese lebenswichtigen Güter-, Öl- und Naturgaslieferungen müssen sich durch eine Handvoll, äußerst verwundbarer Meerengen zwängen: durch die Straße von Hormuz, die Bab el-Mandab-Passage zwischen dem Golf von Aden und dem Roten Meer, den Bosporus, den Suezkanal, den Panama Kanal, die Straße von Malakka und Singapur. Dort müssen die Schiffe äußerst langsam manövrieren - und werden zu besonders verwundbaren Zielen.
Die Folgen eines erfolgreichen Angriffs könnten verheerend sein. Allein die Schließung des Hafens von Singapur dürfte jährlich schätzungsweise über 200 Milliarden US-Dollar kosten. Das Umleiten der Schiffe würde den Seeweg um zwei Tage verlängern und jährlich acht Milliarden US-Dollar kosten. Versicherungsprämien würden in die Höhe schnellen, und das Vertrauen in den freien, ungefährdeten Handel könnte ernsthaften Schaden nehmen und die weitere Entwicklung Asiens ernsthaft beschädigen. Der Schock des 11. Septembers könnte sich wiederholen und verstärken.
Das offensichtlichste Problem sind die Piraten oder rein rechtlich die "bewaffneten Räuber auf See." Mit den modernsten Waffen ausgerüstet und bestens organisiert, stehlen, rauben und kidnappen sie ohne Rück-sicht auf Verluste. 1994 gab es weltweit nur 90 gemeldete Überfälle. 2003 waren es schon 445. 2004 waren die Zahlen wieder rückläufig und beliefen sich nur noch auf 325. Allerdings stieg gleichzeitig die Zahl der Todesfälle von 21 (2003) auf 30 (2004). Zehn Jahre zuvor gab es keinen einzigen. Auch die Zahl der Entführungen wuchs von elf (1994) auf 148 im vergangenen Jahr.
Brennpunkt der Aktivitäten war Südostasien. Dort ereigneten sich über die Hälfte aller gemeldeten Über-fälle. Am gefährlichsten war es in den indonesischen Gewässern, wo sich jeder vierte Überfall weltweit ereignete. Dabei weisen die Piraten-Überfälle immer öfter auf bestens organisierte und ausgerüstete kriminelle Organisation hin, denen häufig nur eine schwache, schlecht ausgerüstete, teils korrupte Marine und Küstenwache gegenüberstehen.
Die größere Herausforderung aber ist der Terrorismus. Al Qaida will den Welthandel stören. Welches leichtere Ziel könnten sie finden als die Seewege? Während die Sicherheitsbestimmungen für alle Bereiche des Flugverkehrs verschärft wurden und werden, ist der Seehandel nahezu kontrollfrei. Keiner kann sicher sagen, wer welches Schiff besitzt, wo es sich befindet, was wirklich geladen und wer tatsächlich an Bord ist. Angriffe auf Schiffe und Häfen könnten Schockwellen um die Welt senden. Besonders Asien ist gefährdet. Viele der größten Seehäfen liegen dort. Die Dschungel- und Inselwelt des Kontinents bietet Tausenden von Terroristen Unterschlupf. Die mit der Al Qaida verknüpfte Jemaah Islamiyah (JI) hat dort Stützpunkte und Anhänger.
Terrorgruppen haben Schiffe längst als Anschlagsziele ausgemacht. Mit Schnellbooten griffen sie schon die USS Sullivans (2000), die USS Cole (2000), den Öltan-ker Limburg (2002) und eine indonesische Fähre (2004) an. Nach dem 11. September wurden bei einer JI-Zelle in Singapur konkrete Pläne gefunden, amerikanische Kriegsschiffe anzugreifen. Ursprünglich sollten gleichzeitig mit den Anschlägen am 11. September in den USA auch Attentate in Asien erfolgen. Osama Bin Laden hat dies aber wegen Problemen bei der Koordination verworfen.
Seit Juli 2004 zeigen die Seestreitkräfte Indonesiens, Malaysias und Singapurs verstärkt Präsenz in der Straße von Malakka. Unter dem Codenamen MALSINDO koordinieren sie die Patrouillen ihrer 17 Schiffe, die aber auf das jeweilige Hoheitsgebiet be-schränkt sind und den Tätern eine leichte Flucht über Seegrenzen hinweg erlauben. Während Singapur darin wirklich einen Beitrag sieht, die Piraterie und den Terrorismus zu bekämpfen, ist MALSINDO für die musli-mischen Staaten Indonesien und Malaysia vor allem eine Abwehrreaktion gegen die USA. Die hatten nämlich Anfang 2004 davon gesprochen, mit eigenen Schiffen für Sicherheit zu sorgen.
MALSINDO zeigt bedingte Erfolge. Im Patrouillengebiet gingen die Überfälle zurück - und verlagerten sich in den Norden der Straße von Malakka. Daneben ist die internationale Gemeinschaft als Ganzes zum Handeln aufgefordert. Ladung, Schiffsregistrierung und Besatzung müssten gleiche Sicherheitsstandards schaffen wie im Luftverkehr. Die Proliferation muss bekämpft werden. Piraten und Terroristen müssen auch an Land verfolgt werden.
Das 21. Jahrhundert wird ein asiatisch-pazifisches Jahrhundert sein. Asien ist die dynamischste Wachs-tumsregion der Welt mit dem größten Bevölkerungsanteil. Ihr weiterer Aufstieg hängt aber von einem ungestörten Welthandel ab. Verstärkte Angriffe von Piraten und erfolgreiche Terrorangriffe könnten ihm empfindlichen Schaden zufügen und die gesamte Staatengemeinschaft treffen.