Tom Kirschey (28) ist Naturschützer in Brandenburg
Wenn ihre Freunde auf Partys gehen, sitzen sie noch in irgendeinem Gremium oder im Ortsverein. Jede freie Minute widmen sie ihrer Organisation, ihrer Partei, setzen sich für ihre Überzeugungen ein. Der Weg ist lang. Ehrgeizige Talente gibt es in allen Parteien und Nichtregierungsorganisationen - trotz aller Nachwuchssorgen. "Das Parlament" stellt einige Jungpolitiker und Aktivisten vor.
"Naturschutz ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Lebensaufgabe", ist Tom Kirschey überzeugt - und er muss es wissen. Der 28-Jährige ist ehrenamtlicher Landesvorsitzender des Naturschutzbundes (NABU) Brandenburg. Naturschutz steht für ihn an erster Stelle. "Da bleibt kein Platz für Hobbys, eigentlich bleibt nicht mal genug Zeit für Studium und Familie."
Wie fast jedes Kind interessierte sich Kirschey für Tiere. "Ich habe mich über sie informiert. Und dabei stößt man dann unweigerlich auf die Probleme. Für mich ergab sich daraus die Pflicht, etwas tun zu müssen", erklärt der Umweltschützer rückblickend. Kirschey lebte damals in Ost-Berlin. In der DDR war Naturschutz staatlich organisiert, im so genannten Kulturbund. "Es war eine Ehre, bei der Kulturbundjugend überhaupt mitmachen zu dürfen", erinnert sich Kirschey. Nach der Wende wurde der Verein aufgelöst, die übrig gebliebenen Fachgruppen schlossen sich mit dem in den alten Bundesländern aktiven Deutschen Vogelschutzbund zum NABU zusammen.
Seitdem ist Tom Kirschey der Organisation treu. In den ersten Jahren war er nur passives Mitglied, weil er noch zur Schule ging. Nach der Zeit als Zivildienstleistender in einem Altenheim und ein paar Semestern Biologie an der Uni widmete sich Tom Kirschey lieber der Natur in der Natur: Er ging in die Praxis.
Er bezeichnet sich selbst als Herpetologe - Spezialist für Kriechtiere und Reptilien. "Vielleicht sind es die Unkenntnis und das Unverständnis, die fast alle Menschen diesen Tieren gegenüber zeigen, was mich an diesen Spezies interessiert, der Reiz, mit dem Unverstandenen auf du und du zu sein", erklärt Kirschey und beginnt einen ausführlichen Vortrag über Schildkröten und Molche in Brandenburg. Seit Jahren arbeitet er an einer Bestandsaufnahme.
Tom Kirschey hat viel zu sagen, nicht nur über Amphibien. Artenschutz, aber vor allem die Umweltpolitik beschäftigen ihn. "Umweltpolitik ist nicht mehr angesagt", sagt Kirschey bedauernd. "Und das, obwohl die Probleme immer größer werden, die Ursachen immer komplexer. Heute sind aus meiner Sicht alle Parteien umweltpolitisch schwach."
Eine Erkenntnis, die ihn immer wieder schockiert. Zu seinen Aufgaben als Landesvorsitzender des NABU zählt es, regelmäßig brandenburgische Landespolitiker zu beraten und zu informieren. Er selbst gehört keiner Partei an, darüber nachgedacht hat er aber schon oft. "Manchmal denke ich, dass ich Themen im parlamentarischen Raum besser durchsetzen könnte." Tatsächlich gab es auch schon ein paar Angebote aus der Politik, aber darüber will er nicht reden. "Ich würde es nicht kategorisch ablehnen, allerdings schrecken mich die Parteistrukturen schon ab."
Dass er gefragt ist, erstaunt nicht. "Der NABU hat 10.000 Mitglieder in Brandenburg. Das sind mehr als alle politischen Parteien im Land zusammen haben", sagt Tom Kirschey nicht ohne Stolz. Er wirkt souverän, beeindruckt mit einem enormen Fachwissen. Er ist ernst, lächelt fast nie. Andere Themen als Naturschutz gibt es für ihn kaum. Auch über sich selbst redet er wenig. "Ich bin ein klassischer Naturschützer mit guter Artenkenntnis und einem wachen Bewusstsein für Probleme."
Vor ein paar Jahren ist er von der Großstadt aufs Land gezogen. Mit seiner Lebensgefährtin hat er ein altes Fachwerkhaus mitten im Wald im Norden Brandenburgs gekauft und ausgebaut. Die Beziehung zu seiner Freundin funktioniert auch so gut, weil sie ebenfalls Naturschützerin ist und hauptamtlich beim NABU arbeitet. "Anders ginge das gar nicht. Der Partner muss schon viel Verständnis haben. Wenn wir uns unterhalten, reden wir fast nur über Naturschutz", erzählt Kirschey. Vor drei Jahren ist er Vater geworden. "Unsere Tochter werden wir natürlich auch als Naturschützerin erziehen. Das ist ja wohl klar."
Tiere sucht man im Haus von Tom Kirschey und seiner Familie allerdings vergeblich. Früher hat er Schildkröten, Molche und Schlangen in seiner Berliner Hochhauswohnung gehalten. Keine eigenen Tiere zu haben, ist heute für ihn ein Ausdruck von Naturliebe. "Gerade Reptilien werden oft unter katastrophalen Bedingungen gehandelt und gehalten."
Seit dem vergangenen Jahr studiert Tom Kirschey an der Fachhochschule in Neubrandenburg Landschaftsarchitektur und Umweltplanung. Zeit dafür hat er eigentlich nicht, aber seine Erfahrung erleichtert vieles. "Dank meiner Naturschutzarbeit brauche ich dafür nicht mal zu lernen".
Tom Kirschey ist Idealist. Trotzdem hofft er, dass der NABU-Landesvorsitz in Brandenburg, wie in anderen Landesverbänden, einmal ein bezahlter, hauptamtlicher Posten wird und er von seiner Arbeit leben kann. "Ich werde das hier machen, bis der Deckel zugeht", sagt er. Seine größte Angst ist die Entfremdung des Menschen von der Natur. Und natürlich die bittere Erkenntnis, dass die Menschen aus ihren Fehlern oft nicht lernen. "Es macht mich traurig, zu realisieren, dass meine Tochter bestimmte Arten nicht mehr kennen lernen wird."