*) Eingesetzt durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember
1999 - entspricht der Bundesdrucksache 14/2350

 zurück weiter  Kapiteldownload  Übersicht 


3.5.3.1    Verbraucherschutz und Vorsorge

Das Schutzinteresse von Verbraucherinnen und Verbrauchern gilt nicht nur für europäische Staaten oder Industrie­ länder. In allen Regionen der Welt haben Menschen ein starkes Interesse daran, vor Gesundheitsrisiken durch gefährliche Produkte oder Lebensmittel minderer Qualität, vor betrügerischen Verkaufspraktiken oder ruinösen Geldgeschäften geschützt zu sein. In Deutschland und anderen Industrieländern gibt es unterschiedliche gesetzliche Regelungen zum Schutz von Verbrauchern, so für Wohnen (Mietrecht), Investitionen (Haustürgeschäfte) oder die Qualität privater Bildungsangebote.

Langfristig muss jedoch gesehen werden, dass durch die heute vor allem in Industrieländern verbreiteten Konsummuster und Produktionsweisen die natürlichen Lebensgrundlagen in hohem Maße gefährdet werden (Deutscher Bundestag 1998, Europäische Kommission 2002). Konsequenterweise sollten deshalb im gesamtgesellschaftlichen Zusammenleben Veränderungen in Richtung einer nachhaltigen zukunftsfähigen Entwicklung angestrebt werden, was auch das Verbraucherverhalten einschließt (vgl. Kapitel 7.7.1und 8).

   3.5.3.1.1  Gesetzesbestimmungen und Handelsübereinkommen zum Verbraucherschutz

In der Europäischen Union ist Mitte Januar 2002 eine neue europäische Richtlinie über die Produktsicherheit (2001/95/EG) in Kraft getreten, mit der die Rücknahmepflicht für Produkte auf zwei Jahre verlängert wurde. Herstellern und Händlern werden weitere Kontroll- und Informationspflichten für die Produkte auferlegt, und auch staatliche Eingriffe bei gefährlichen Waren sind vorgesehen. Diese Richtlinie muss bis Juni 2004 in nationales Recht übernommen werden. Für Deutschland heißt dies, dass das Produktsicherheitsgesetz und das Gerätesicherheitsgesetz geändert werden müssen. Die EU-Richtlinie ist eine Verschärfung der bisher geltenden Richtlinien und berücksichtigt stärker die Sicherheit von Verbrauchern. Es besteht die Pflicht, die Verbraucher zu informieren, damit sie mögliche Gefahren erkennen und vermeiden können. Außerdem müssen die Produkte überwacht und stichprobenartig geprüft werden, nachdem sie im Handel sind, und eventuell nachgerüstet werden. Hier haben die Behörden Eingriffsmöglichkeiten von der Bußgeldverhängung bis zur Anordnung von Warenrückruf oder Handels- und Exportverbot. Bei der neuen Richtlinie über die Produktsicherheit geht es nicht nur um Gebrauchsgegenstände, deren Unbedenklichkeit wichtig ist. Es geht jetzt auch darum, dass Produkte eingeschlossen sind, die Privatpersonen im Rahmen einer gewerblichen Dienstleistung geliefert oder zur Verfügung gestellt werden. Wenn also einem Kunden Gerätschaften zur Eigennutzung überlassen werden, unterliegen nicht nur diese Produkte, sondern auch der Dienstleister der behördlichen Überwachung. Das betrifft z. B. Fitnessclubs, Frisiersalons und Hotels. Außerdem werden Geräte einbezogen, die ursprünglich der gewerblichen Nutzung dienten, aber zunehmend – wie im Heimwerkerbereich – im Alltag von Privatpersonen genutzt werden. Hierunter fallen also professionelle Handwerkerausrüstungen, Farbe oder Pestizide. Die bisher vor allem im Maschinenbereich geltenden europäischen Normen für Produktsicherheit sollen für den gesamten Anwendungsbereich der Richtlinien gelten.

Neu an dieser Richtlinie ist, dass die EU-Kommission einschreiten kann, wenn von einem Produkt ernste Gefahr ausgeht. Dann darf, wenn nicht ausdrücklich eine Ausnahme vorgesehen ist, die betroffene Ware auch nicht mehr ausgeführt werden. Der Export als gefährlich eingestufter Waren in Drittländer ist damit rechtlich unmöglich, selbst dann, wenn das Produkt nach den Regeln des Bestimmungslandes rechtmäßig importiert und gehandelt würde.

Der Deutsche Bundestag hat in der 14.Legislaturperiode die Gesetze zur Neuorganisation des gesundheitlichen Verbraucherschutzes und der Lebensmittelsicherheit (Deutscher Bundestag 2002d), zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften (Deutscher Bundestag 2001a) und das Verbraucherinformationsgesetz (Deutscher Bundestag 2002c) verabschiedet.

Auch wenn Verbraucherschutz auf Seiten der Produktsicherheit von der EU gefördert wird, so steht auf anderen Ebenen der Verbraucherschutz nicht im Vordergrund. Zwar wurde mit dem Aussetzen der Genehmigungsverfahren von den Mitgliedstaaten 1998 vereinbart, dass für gentechnisch veränderte Produkte strengere Zulassungs- und Überwachungskriterien in Kraft treten sollten. Hier sollte auch das Recht der Verbraucherinnen und Verbraucher berücksichtigt werden, selbst zu entscheiden, ob sie gentechnisch veränderte Lebensmittel essen wollen. Die Mitgliedstaaten haben sich allerdings noch nicht auf eine einheitliche Stellungnahme verständigt. Die neuen EU-Richtlinie zu Freisetzung, Anbau und Vermarktung (Europäisches Parlament/Rat der Europäischen Union 2001) wie auch neue Vorschläge für die Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Pflanzen und den daraus hergestellten Produkten sowie für deren Rückverfolgbarkeit durch die Verarbeitungskette liegen inzwischen vor.

Auf der WTO-Ebene gibt es bereits Vereinbarungen zum Schutz der Verbraucher vor Gesundheitsgefährdung. Diese sind im WTO-Übereinkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen (SPS-Übereinkommen) festgelegt. Weiterhin regelt das WTO-Übereinkommen über technische Handelshemmnisse (TBT-Übereinkommen) den internationalen Umgang mit technischen Regulierungen und Industriestandards. Durch diese WTO-Übereinkommen werden keine eigenen Standards gesetzt, sondern es wird auf die von fachlich kompetenten, internationalen Gremien erarbeiteten Normen verwiesen (z.B. jene der ISO; vgl. Kapitel 3.6.1).

3.5.3.1.2  Handelspolitische Maßnahmen zur Vorsorge

Diese genannten WTO-Übereinkommen ermöglichen es Staaten, die Risiken abzudecken, die von eingeführten Waren ausgehen, deren Produktion und Verarbeitung dem Regelungsbereich des Importstaats entzogen ist. Unter bestimmten Voraussetzungen können aufgrund gesundheitspolitischer oder technischer Vorschriften handelspolitische Maßnahmen ergriffen werden. Um hier keine neuen Handelsbarrieren zu errichten, müssen die staatlichen Maßnahmen gemäß den WTO-Übereinkommen wissenschaftlich begründet, transparent und verhältnismäßig sein, und dürfen nicht zwischen einzelnen Importstaaten diskriminieren. Allerdings dürfte es manchen Entwicklungs- oder Schwellenländern, eventuell sogar Transformationsländern nicht leicht fallen, beabsichtigte importbeschränkende Maßnahmen zu begründen, vor allem, wenn in diesen Ländern keine national vorsorgenden Vorschriften gelten. Deshalb sollte im internationalen Handel selbstverständlich werden, was die beschriebene neue EU-Richtlinie über Produktsicherheit festlegt, nämlich dass Produkte, deren Verkauf oder Herstellung wegen Gefährdung im eigenen Land verboten sind, nicht exportiert werden dürfen.

Im Protokoll über die biologische Sicherheit (Cartagena Protokoll), das Anfang 2000 in Montreal verabschiedet wurde, ist ein Informations- und Entscheidungsverfahren für die Ausfuhr von gentechnisch veränderten Organismen festgelegt. Hier ist das Ausfuhrland verpflichtet, dem Empfängerland alle Informationen zugänglich zu machen, die für eine Sicherheitsbewertung erforderlich sind.    Das Einfuhrland kann die Einfuhr verbieten, wenn plausibel Zweifel an der Sicherheit für Umwelt, biologische Vielfalt und menschliche Gesundheit bestehen. Eine fundierte wissenschaftliche Beweisführung ist, anders als bei den genannten WTO-Abkommen, nicht notwendig, um ein Verbot zu begründen. Es ist Staaten also erlaubt, gemäß Protokoll, aus Vorsorge Importverbote zu verhängen. Allerdings gilt dieses vereinbarte Verfahren nicht, wenn beim Handel mit gentechnisch veränderten Organismen wie z. B. Sojabohnen oder Mais, diese sofort zu Lebens- oder Futtermitteln verarbeitet werden. Auch bei der Ausfuhr solcher Produkte muss keine Information durch das ausführende Land erfolgen, wenn keine Freisetzung der Produkte vorgesehen ist. Das Importland hat in diesem Fall also keine Möglichkeit, aus Vorsorge ein Verbot zu verhängen. Das Ausfuhrland muss jedoch sicherstellen, dass sicherheitsrelevante Informationen und Erkenntnisse zur Verfügung stehen. Diese werden jeweils an eine Clearingstelle gegeben, die auf nationaler Ebene bereits eingerichtet ist oder noch eingerichtet wird. International wird der Prozess in einem Clearinghaus verfolgt.

3.5.3.1.3  Handelspolitische Wirkungen

Verbraucherschutz im Handel kann keine Rücksicht auf den Ursprung einer Ware nehmen, sondern dient dazu, bestimmte Risiken wie Gesundheitsgefahren und Irrefüh­ rung auszuschalten. Verbraucherschutz kann somit nicht nach Herkunft eines Produktes geteilt werden. Deshalb haben Maßnahmen des Verbraucherschutzes oder auch die Anwendung eines international noch nicht vereinbarten Vorsorgeprinzips handelspolitische Wirkungen. Ziel der genannten WTO-Übereinkommen (SPS- und TBT-Über-einkommen) ist es, vor ungerechtfertigten Handelsbeeinträchtigungen zu schützen. Die geforderten Standards können in der Realität aber auch handelsbeschränkende Wirkung gegenüber Waren aus Entwicklungsländern haben. Denn diese können die nach dem SPS- und TBT-Übereinkommen zulässigen Standards heute häufig nur unter Schwierigkeiten erfüllen. Die Verwendung ge­sundheitsbeeinträchtigender Chemikalien bei der Textilproduktion oder von im Export-Zielland verbotenen Pflanzenschutzmitteln bei der Nahrungsmittel- oder Blumenproduktion könnte handelsbeschränkende Maßnahmen hervorrufen. Daher stehen etliche Entwicklungsländer internationalen Standards für den Verbraucherschutz ebenso ablehnend gegenüber wie Sozial- und Umweltstandards. Aus dem Grunde gelten auch hier die an anderen Stellen des Berichts unter den Abschnitten Sozialstandards (vgl. Kapitel 3.5.2),Handel und Umwelt (vgl. Kapitel 3.5.1)und Verhaltenskodizes transnationaler Unternehmen (vgl. Kapitel 3.6)genannten Bedingungen für eine Zusammenarbeit auf internationaler Ebene.




 zurück weiter  Top  Übersicht 


Volltextsuche