Kürzlich hat Dr. Frank-Walter Steinmeier, Kanzlerkandidat der SPD, seinen „Deutschlandplan“ veröffentlicht und damit klar gemacht, welches Thema er in den Mittelpunkt des laufenden Bundeswahlkampfes stellen will: die Schaffung von vier Millionen Arbeitsplätzen. Die CDU/CSU setzt dagegen auf ihre Spitzenkandidatin, Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. Sie steht im Zentrum der Unions-Kampagne. Doch wer letztlich mit seiner Strategie den Wahlkampf bestimmen kann, muss sich erst noch zeigen.
Denn nicht notwendigerweise ist das, was eine Partei als Wahlkampfthema ausgibt - oder die Person, die sie ins Zentrum der Kampagne rückt - entscheidend. Wahlkämpfe entwickeln ihre eigene Dynamik. Gewinner wird, wer darauf zu reagieren versteht: mit Taktik, Timing – und dem Gefühl für das richtige Thema. Ein Blick zurück auf einige der spannendsten Bundestagswahlkämpfe in der bundesdeutschen Geschichte: Was gab den Ausschlag für Sieg oder Niederlage?
Der Wahlkampf zu den ersten Bundestagswahlen am 14. August 1949 war zwar im Vergleich zu heutigen Wahlkämpfen auffällig kurz – er dauerte nämlich nur vier Wochen – dennoch wurde bereits dieser Wahlkampf mit großer verbaler Schärfe geführt. Nach Meinung der Wahlforscherin Annette Koch-Wegener, die sich in einer Studie eingehend mit dem Wahlkampf des Jahres 1949 auseinandergesetzt hat, wurde dieser erste Wahlkampf nach dem Zweiten Weltkrieg richtungsweisend für Politik und Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Im Zentrum der Auseinandersetzungen: der Streit um das richtige Wirtschaftsprogramm.
Während Spitzenkandidat Dr. Konrad Adenauer für CDU und CSU mit dem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft in den Wahlkampf startete, bekannte sich die SPD mit ihrem Vorsitzenden Kurt Schumacher zum Sozialismus. „Planwirtschaft – das ist soziale Gerechtigkeit“, so ein SPD-Flugblatt aus diesem Sommer.
Die CDU/CSU sah Deutschland am „Scheideweg der Wirtschaft“, so die Botschaft eines Wahlplakats, und warnte eindringlich, die Planwirtschaft führe entweder zur „Unterdrückung aller menschlicher Freiheit“ oder in den „Zusammenbruch“. Mit der Auseinandersetzung über die künftige Wirtschaftspolitik hatte die erste Bundestagswahl ein Schwerpunktthema, auf das beide großen Parteien setzten und das letztlich die Wahl bestimmen sollte.
Exemplarisch waren bei dieser Wahl nämlich zwei Bedingungen gegeben, die Wahlforschern zufolge ein Hauptthema ausmachen: Relevanz und gegensätzliche Positionen. Angesichts von Hunger und Armut nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg war die Frage, wie es wirtschaftlich mit Deutschland bergauf gehen könne, für die Bevölkerung von großer Wichtigkeit. Union und SPD standen sich zudem mit ihren Positionen diametral gegenüber. Die SPD stand für Planwirtschaft, die Union für die Soziale Marktwirtschaft. Die Bürger hatten somit eine richtungsweisende Entscheidung zu fällen: Sie taten es zugunsten der Union und deren Wirtschaftsprogramm.
Prognosen waren zwar zunächst von einem Sieg der SPD ausgegangen, doch Adenauer hatte es verstanden, einerseits erste wirtschaftliche Erfolge für sich zu reklamieren, andererseits die SPD in die Nähe der Kommunisten zu rücken und die Angst vor der „roten Gefahr“ zu schüren. Dies gab den Ausschlag: Die Union gewann zwar knapp mit 31 Prozent vor der SPD mit 29,2 Prozent. Doch die FDP war mit 11,9 Prozent drittstärkste Kraft geworden und konnte so mit der CDU/CSU die erste schwarz-gelbe Koalition bilden.
Ganz anders setzten zu Beginn des Wahlkampfes zur zweiten Bundestagswahl am 6. September 1953 SPD und Union nicht auf dasselbe, sondern auf unterschiedliche Wahlkampfthemen: Während Bundeskanzler Konrad Adenauer außenpolitische Erfolge in den Mittelpunkt rückte, startete die SPD mit innenpolitischen Themen in den Wahlkampf. „Für Millionen von Wählern“ würden am Wahltag die „realen Probleme ihres täglichen Daseins“ entscheidender sein als die „großen außenpolitischen Fragen“, meinte Erich Ollenhauer, seit 1952 neuer SPD-Vorsitzender.
Doch er irrte sich. Es war ein Fehler, dass die SPD, anders als die CDU, auf eine Zusammenarbeit mit Meinungsforschungsinstituten verzichtet hatte. Denn Umfrageergebnisse hatten gezeigt, dass große Teile der Bevölkerung mit den bestehenden Verhältnissen zufrieden waren. Wahlbestimmend an den Urnen wurden außenpolitische Themen: Mit der Verteidigung seines Kurses der Westintegration und Wiederbewaffnung konnte Adenauer erneut gewinnen.
Doch sicher war dies nicht: Gerade gegen die Wiederbewaffnung hatte die SPD mit einer Kampagne erfolgreich Stimmung machen können. Zudem war der zwar noch vor der Wahl von Bundestag und Bundesrat ratifizierte Vertrag zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft noch nicht in ‚trockenen Tüchern’: Das französische Parlament musste noch zustimmen. Trotz dieser Unsicherheit gelang es Adenauer aber, die Erfolge seiner Außenpolitik, insbesondere mit einer öffentlichkeitswirksamen USA-Reise, von der er auch mit greifbaren politischen Ergebnissen zurückkam, in den Vordergrund zu stellen.
Doch die CDU hatte auch Fortune: Den blutig von sowjetischen Militärs niedergeschlagenen Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 nutzte Adenauer geschickt, um erneut die Angst vor der roten Gefahr zu schüren. Außerdem hatte er so das perfekte Argument, allen Forderungen der SPD nach einem Viermächtegipfel und Gesprächen über eine Wiedervereinigung eine Absage zu erteilen. Mit einer solchen „Räuberbande“ – gemeint waren die Sowjets – sei nicht zu verhandeln, so der Kanzler.
Doch schon wenig später änderte er seine Meinung und sprach sich für eine Viererkonferenz zum Thema Wiedervereinigung aus. So übernahm er die Forderung der SPD und ihr gleichzeitig den Wind aus den Segeln. Für den Autor Mathias Friedel, der die Bundestagswahl 1953 analysiert hat, ein „politischer Coup“, der sich auszahlte: Am Wahltag stimmten 45,2 Prozent der Wähler für CDU und CSU, die SPD fiel auf 28,8 Prozent zurück.
1972 spielte die Außenpolitik im Wahlkampf zu den Bundestagswahlen am 19. November ebenfalls eine entscheidende Rolle – allerdings unterschied sich der Wahlausgang gründlich von der 1953er-Wahl: Die Bundestagswahl 1972 wurde zum Plebiszit über den seit 1969 amtierenden Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) und seine Ostpolitik. Die Ostverträge hatten Politik und Gesellschaft stark polarisiert. Selbst in der sozialliberalen Koalition waren sie so umstritten, dass einige Abgeordnete zur Opposition wechseln.
Ein Misstrauensvotum, von Oppositionsführer Dr. Rainer Barzel (CDU/CSU) gestellt, scheiterte zwar im April, doch die Kanzlermehrheit war so dünn, dass Brandt Neuwahlen anstrebte. Im September stellte er die Vertrauensfrage, die er wie geplant verlor. Das war der Startschuss für einen knapp zweimonatigen Wahlkampf. Schon bei der Wahl 1969 hatte die SPD die Person Willy Brandt in den Mittelpunkt ihrer Kampagne gestellt und wie selten zuvor machten Journalisten, aber auch Intellektuelle und Künstler, für den SPD-Kandidaten Stimmung.
1972 erklomm die Personalisierung ihren Höhepunkt: Der Wahlkampf war voll auf Brandt ausgerichtet, der 1971 für seine Ostpolitik mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden war. Weil sich Herausforderer Barzel schwer tat, in der Wählergunst gegenüber Brandt aufzuholen, setzte die CDU/CSU erstmals in ihrer Geschichte auf ein Wahlkampfteam. Inhaltlich versprach sie Sicherheit, Stabilität und Fortschritt. Als dies nicht verfing, startete die Union eine Negativ-Kampagne, die die SPD in die „Kommunistenecke“ stellte und dazu vor Staatsbankrott und Deutschlands Untergang warnte, falls diese die Wahl gewinne.
Doch der SPD gelang es wie nie zuvor, die Basis zu emotionalisieren und zu mobilisieren („Willy wählen“) und so das politische Klima für sich zu bestimmen. Die Strategie, die Ostverträge und ihren Verfechter zum Wahlkampfthema zu machen, ging voll auf: 91,5 Prozent der Wahlberechtigten strömten an die Urnen. Das ist bis heute die höchste Wahlbeteiligung bei einer Bundestagswahl. Die SPD errang mit 45,8 Prozent ihr bestes Ergebnis aller Zeiten. Auch die FDP profitierte vom Wahlkampf und erlangte 8,4 Prozent der Stimmen. Die CDU/CSU erhielt 44,9 Prozent.