In manchen Wahlkreisen fehlen sie, aber in Berlin sind freiwillige Wahlhelfer wie Brigitte Sobhani und Nick Rimmelspacher im Einsatz. Während am Morgen eines Wahlsonntags die meisten Bundesbürger noch schlafen oder bestenfalls gerade frühstücken, sind die beiden schon auf den Beinen. Um sieben Uhr früh beginnt ihr Dienst.
Wahlkabinen aufstellen, Urnen postieren, Fahnen aufhängen - sobald der Hausmeister der Eonsander-Schinkel-Grundschule in Berlin-Charlottenburg die Türen aufgeschlossen hat, machen sich die sechs, sieben freiwilligen Wahlhelfer eilig an die Arbeit, damit aus einem normalen Klassenraum ein Wahllokal wird. Eine Stunde Zeit haben sie: Ab acht Uhr können die ersten Wähler zur Stimmabgabe kommen. Das Räumen von Stühlen und Tischen erledigen die Wahlhelfer gemeinsam, danach hat aber jeder seine eigene Aufgabe.
Der Schriftführer und sein Stellvertreter führen das Wählerverzeichnis und vermerken darin die Stimmabgabe. Die Beisitzer geben die Stimmzettel aus und sind ansonsten für den reibungslosen Ablauf des Wählens zuständig. So achten sie etwa auch darauf, dass wirklich nur einen Person in die Kabine geht. Der Wahlvorstand schließlich überwacht die gesamte Stimmabgabe. Oft ist er es, der die Urne öffnet, damit die Wähler ihre Stimmzettel einwerfen können.
Doch seine Aufgaben sind noch umfassender: Der Vorstand ist verantwortlich dafür, dass jedes Wahllokal überhaupt mit dem notwenigen Mobiliar von Kabine, Urne und Fahnen - und auch mit Stimmzetteln und Wählerverzeichnis - ausgestattet ist. Abends, nachdem die Wahlhelfer die Stimmen gemeinsam ausgezählt haben, stellt er das Ergebnis des Wahlbezirks fest und sorgt für die Anfertigung der Niederschriften. Am Ende des Tages übergibt er die Wahlunterlagen an die Gemeinde.
Brigitte Sobhani engagiert sich seit zehn Jahren als stellvertretende Wahlvorsteherin in ihrem Wahlbezirk Charlottenburg-Wilmersdorf: Die 60-Jährige ist Rentnerin, aber als sie sich entschied, Wahlhelferin zu werden, war sie noch im Außendienst der Firma Siemens berufstätig und immer viel unterwegs. Dennoch wollte sie etwas Gemeinnütziges tun: "Mich bei einer Partei zu engagieren, das ist nicht so meins", sagt Sobhani. Aber sie interessiert sich für Politik und hat gern mit Menschen zu tun, warum also nicht Wahlhelferin werden? "Das ist meine Art, etwas für die Allgemeinheit zu tun." Für dieses Engagement war Sobhani auch gern bereit, hin und wieder einen Sonntag zu opfern. Sie erkundigte sich im Rathaus, und schon wenig später besuchte sie eine Informationsveranstaltung, bei der sie erfuhr, was ein Wahlhelfer eigentlich zu tun hat.
Heute ist Sobhani in diesen Dingen ein echter Routinier, dennoch hat sie in der vergangenen Woche wieder ein Wahlhelfer-Treffen besucht. "Da weiß man gleich, mit wem man zusammenarbeiten wird", sagt sie gut gelaunt. Für die Berlinerin ist ein Wahlsonntag inzwischen so etwas wie ein soziales Ereignis: Nach zehn Wahlhelferjahren kenn sie viele der Menschen, die zur Stimmabgabe kommen. "Da wechselt man auch mal ein paar private Worte und weiter geht’s". Die freiwilligen Wahlhelfer in ihrem Wahlbezirk sind ebenfalls untereinander gut bekannt. Es seien eigentlich immer dieselben, so Sobhani. Meist Leute im "gesetzten Alter". Dass in manchen Wahlkreisen vor der Bundestagswahl am 27. September freiwillige Wahlhelfer fehlen, vor allem der "Nachwuchs", findet sie schade. Auch sie hat bisher kaum junge Leute als Beisitzer oder Schriftführer kennengelernt. "Die interessieren sich wohl nicht so dafür", vermutet Sobhani.
Nick Rimmelspacher kann sie damit nicht meinen. Der 19-Jährige war schon bei Landtags- und Europawahlen sowie bei verschiedenen Volksentscheiden in Berlin-Pankow als Wahlhelfer aktiv. Er hat sich wie Brigitte Sobhani freiwillig gemeldet, allerdings war es seine Geschichtslehrerin, die ihn dazu brachte: "Sie hat im Leistungskurs gefragt, wer bei den nächsten Wahlen als Wahlhelfer dabei sein möchte", erinnert sich Rimmelspacher. Er besuchte bis zu seinem Abitur im Juni das Carl-von-Ossietzky-Gymnasium in Pankow, dessen Schulleiter vor einiger Zeit eine einfache, aber gute Idee hatte: Warum nicht die Wahllokale, die zu Europa-, Bundestags-, Landtags- oder Kommunalwahlen regelmäßig im Schulgebäude eingerichtet werden, von Schülern als Wahlhelfern organisieren lassen?
Rimmelspacher hatte, bis seine Lehrerin nach Freiwilligen fragte, gar nicht gewusst, dass jeder volljährige Bürger Wahlhelfer werden kann: "Ich dachte, das machen immer Beamte und Otto-Normalbürger kann gar nicht hinter die Kulissen gucken." So war es bei dem Schüler Neugier, die ihn bewog mitzumachen. "Ich fand es einfach interessant zu sehen, wie das alles abläuft - wie etwa die Stimmen ausgezählt werden." Heute weiß er aus leidvoller Erfahrung, dass das gar nicht so einfach ist. Bei der letzten Europawahl haben er und die anderen Wahlhelfer sieben Mal zählen müssen, bis das Ergebnis endlich stimmte.
Ein Wahltag kann lang werden: Brigitte Sobhani war so manches Mal erst nach zehn Uhr abends wieder zuhause - ebenso Nick Rimmelspacher. Er hat sein Engagement trotzdem nicht bereut: "Ich fand es spannend." Wie offenbar auch die anderen Freiwilligen in seiner früheren Klasse: "Beim ersten Mal haben sich nur drei gemeldet, beim zweiten Mal waren wir schon zehn."
Das so genannte Erfrischungsgeld, welches jeder Wahlhelfer als Anerkennung für seine Arbeit ausgezahlt bekommt, spielt für ihn aber keine Rolle: "Wahlhelfer wird man doch nicht wegen des Geldes!" Rimmelspacher würde deshalb wieder einspringen. Am 27. September werden allerdings Brigitte Sobhani und die bundesweit rund 630.000 anderen Wahlhelfer auf seinen Einsatz verzichten müssen - er absolviert gerade ein Praktikum im Naturpark Sächsische Schweiz und kann nicht nach Berlin kommen. Seine Stimme hat er aber schon abgegeben - per Briefwahl.