Für einen Wissenschaftler, der es gewohnt ist, dass seine Texte im Hinblick auf die inhaltliche Richtigkeit optimiert werden, ist es schon eher ungewöhnlich, einen Anruf wie diesen zu erhalten: “Hallo, kannst du damit leben, wenn der dritte Halbsatz gestrichen wird, dann können die Grünen den Text mittragen”. Diese Orientierung an der Fraktion-gebundenen Durchsetzung von Positionen ist sicherlich das für unsereinen besondere an einer Mitarbeit in der Kommission. Das parlamentarische System ist in dieser Hinsicht hoch effizient, vieles wird in Obleute-Runden vorentschieden, was zunächst als eigener Kontrollverlust wahrgenommen werden kann, letztlich in vielen Fragen aber alternativ los ist. Schon so ist auffällig, dass sich 34 hoch beschäftigte Experten lange Zeit, Monate, mit Formalien und der Organisation der eigenen Arbeit beschäftigt haben – um dann ohne weitere Diskussion in der Sache in die Phase einer hektischen Textproduktion einzutreten.
Die zu Anfang geschilderte Beobachtung macht auch noch etwas anderes deutlich, was die Arbeit der Internet-Enquete ausmacht. Es ist vor allem – und das unterscheidet sie von vielen vergleich baren Kommissionen zuvor – der Wille aller Beteiligten, möglichst viel tatsächlich im Konsens zu erreichen. Dies hat die Kommission bislang in allen Projektgruppen durchgehalten, was hoffentlich der Überzeugungskraft des Berichtes dient. Möglich wird es durch stundenlange Abstimmungsrunden der Fraktionsreferenten, deren Intensität sich zuweilen an den Gesichtern ablesen lässt, wenn sie darauf angesprochen werden, warum am Textrand „Entscheidung in der Projektgruppe“ steht.
Als große Bürde hat sich erwiesen, dass der Bundestag in seinem Einsetzungsbeschluss offenbar alle Punkte aufgelistet hat, die den Abgeordneten zum Thema Internet aufgefallen sind. Da es sich bekanntlich um ein die gesamte Gesellschaft umfassendes Phänomen handelt, nimmt es nicht Wunder, dass damit – um wieder einen wissenschaftlichen Vergleich zu bemühen – genug Aufgaben für einen Sonderforschungsbereich definiert werden, der gute Aussicht hat, nach den ersten sechs Jahren noch einmal um diese Zeit verlängert zu werden, da jeder einsieht , dass die Aufgaben in dieser Zeit nicht bewältigt werden können. Wie soll das ein Haufen Gutwilliger im Nebenamt in zwei Jahren erledigen?
Die Enquete versucht, das Programm schulmäßig abzuarbeiten – und strapaziert dabei die Arbeitskraft aller Beteiligten auf äußerste. Sicher auch die der Abgeordneten – die entgegen vieler Klischees durchaus sehr gut ausgelastet sind – auch wenn es regelmäßig den Sachverständigen sauer aufstößt, wenn die MdBs darauf hinweisen. Denn für die SV – das wurde mir erst spät klar – ist es vom Arbeitsaufwand her faktisch ein zweiter Beruf. So muss man hoffen, dass es sich am Ende durch einen beachtenswerten Bericht gelohnt haben wird.
Was mir vor diesem Hintergrund noch nicht ganz gelungen scheint ist es, die richtige „Flughöhe“ zu finden, die entscheidenden Fragen mittlerer Reichweite zu bearbeiten, die beantwortet werden müssen, um eine Internet-adäquate Ordnung der Dinge zu erreichen. Was ist wirklich neu am technischen Medium Internet, was bei Lichte besehen ebenso wie Offline? Man könnte da viel tun, aber kann man es in dem Textproduktionsdruck wirklich? Oft stürzt die Arbeit ins Tagespolitische ab. Aber es ist schon klar, wie die Reaktion auf eine Kritik dieser Art wäre: „Schreib doch den Text mit der richtigen Flughöhe, mal schauen, ob wir die anderen Fraktionen ins Boot bekommen.“
Blog der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft
23. Mai 2011 von Wolfgang Schulz |
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Ein Jahr Enquete – Man könnte, aber man kann nicht
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